Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
Arme um seinen misshandelten Körper. Ich konnte den Blick nicht abwenden.
Diese Laute, dieses Bild konnte ich nie mehr vergessen.
Von da an achtete ich auf Adam Kent.
»Juliette.«
Ich hole tief Luft. Würden meine Hände doch nur nicht zittern. Hätte ich doch nur keine Augen.
»Juliette«, sagt er wieder, diesmal noch sanfter, und mein Körper landet in einem Mixer, und ich werde zu Mus. Meine Haut sehnt sich schmerzhaft schmerzhaft schmerzhaft nach Adams Wärme.
Ich werde mich nicht umdrehen.
»Du hast die ganze Zeit gewusst, wer ich bin«, flüstere ich.
Er schweigt, und ich will plötzlich unbedingt seine Augen sehen. Ich muss seine Augen sehen. Ich drehe mich um, aber er starrt auf seine Hände. »Es tut mir leid«, murmelt er.
Ich lehne mich an die Wand und schließe die Augen. Er hat alles vorgetäuscht. Als er mir mein Bett wegnahm. Als er nach meiner Familie fragte. Er stand in Diensten von Warner. Von den Wärtern. Von irgendwem. Ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben kann.
Ich muss es sagen. Ich muss es loswerden. Ich muss meine Wunden aufreißen und das Blut aufs Neue strömen lassen. »Es ist wahr«, sage ich. »Die Geschichte von dem kleinen Jungen.« Meine Stimme zittert viel schlimmer, als ich erwartet hatte. »Es war wirklich so.«
Er bleibt lange stumm. »Ich habe das nie verstanden«, sagt er dann. »Als ich es zum ersten Mal hörte. Erst jetzt wurde mir klar, was da passiert sein muss.«
»Was?« Ich wusste nicht, dass man so oft blinzeln kann.
»Es ergab keinen Sinn für mich«, sagt er, und jedes Wort ist ein Schlag in die Magengrube. Adam schaut auf, und er sieht so gequält aus, dass ich es kaum ertragen kann. »Als ich damals davon hörte. Wir wussten es alle. Die ganze Schule –«
»Es war ein Unfall«, würge ich hervor. »Er – er er – ist hingefallen – und ich wollte ihm – helfen – und ich wusste nicht – ich dachte, ich –«
»Ja, ich weiß.«
»Was?« Ich hole so tief Luft, als wolle ich das ganze Zimmer verschlingen.
»Ich glaube dir«, sagt er.
»Was … Warum?« Meine Augen blinzeln Tränen weg, meine Hände flattern, nervöse Hoffnung strömt in mein Herz.
Adam beißt sich auf die Unterlippe. Schaut weg. Geht zur Wand. Öffnet mehrmals den Mund und schließt ihn wieder, bevor die Worte schließlich heraushasten. »Weil ich dich kannte, Juliette – ich – Gott – ich wollte –« Er legt eine Hand auf den Mund, streicht sich mit der anderen über den Nacken. Reibt sich die Stirn, schließt die Augen, presst die Lippen zusammen. Öffnet sie mühsam wieder. »An diesem Tag wollte ich mit dir reden.« Ein seltsames Lächeln. Ein seltsames Lachen. Er streicht sich durch die Haare. Schaut zur Decke hoch. Kehrt mir den Rücken zu. »Ich wollte endlich mit dir reden. Ich wollte endlich mit dir reden, und ich –« Er schüttelt heftig den Kopf und lacht noch mal gequält. »Gott, du erinnerst dich ja nicht an mich.«
Hunderttausende Sekunden verstreichen, und ich sterbe tausend Tode.
Ich will lachen und weinen und schreien und wegrennen und weiß nicht, was ich zuerst tun soll.
Ich offenbare mich.
»Doch, ich erinnere mich sehr wohl an dich.« Ein halb ersticktes Flüstern. Ich kneife die Augen zu. Ich erinnere mich an dich, an jedem Tag, in jedem Moment meines zerstörten Lebens . »Du warst der Einzige, der mich wie ein menschliches Wesen behandelt hat.«
Er sprach nie mit mir. Kein einziges Wort redete er jemals mit mir, aber er war der Einzige, der sich in meine Nähe wagte. Der Einzige, der sich für mich einsetzte, für mich kämpfte, jemandem die Faust ins Gesicht drosch, weil er mir einen Stein an den Kopf geworfen hatte. Ich wusste nicht mal, wie ich ihm danken sollte.
Mehr Freundschaft habe ich nie gekannt.
Ich öffne die Augen. Er steht direkt vor mir. Mein Herz ist ein Feld voller Lilien, deren Blüten aufplatzen. Adams Kinn sieht so angespannt aus wie seine Augen wie seine Fäuste wie seine Arme.
»Du wusstest es schon?« 4 geflüsterte Worte, und er hat meinen Damm gebrochen, meine Lippen aufgeschlossen, mein Herz gestohlen. Die Tränen, die mir übers Gesicht strömen, spüre ich kaum.
»Adam.« Ich will lachen, doch meine Lippen stolpern über ein ersticktes Schluchzen. »Deine Augen würde ich überall auf der Welt erkennen.«
Und das war’s.
Diesmal gibt es kein Halten mehr.
Diesmal reißt er mich in seine Arme, drängt mich an die Wand, und ich zittere überall, und er berührt mich so sanft, so behutsam, als sei ich
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