Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
Herz kollabiert.
Ich muss hier weg.
Ich renne zu der Doppeltür und reiße sie auf, bevor Warner mich aufhalten kann. Aber Adam packt mich. Er steht direkt vor der Tür. Wartet. Bewacht mich auf Schritt und Tritt.
Ich frage mich, ob er alles mitgehört hat, und mein Blick stürzt zu Boden, das Blut weicht aus meinem Gesicht, mein Herz zersplittert. Natürlich hat er alles gehört. Natürlich weiß er jetzt, dass ich eine Mörderin bin. Ein Monster. Eine nutzlose Seele, in einen giftigen Körper gestopft.
Warner handelt immer mit Vorsatz.
Und ich stehe zwischen den beiden. Warner ohne Hemd. Adam, der auf seine Pistole schaut.
»Soldat.« Warners Stimme. »Bringen Sie Juliette in ihr Zimmer und entfernen Sie alle Kameras. Wenn sie will, kann sie alleine zu Mittag essen, aber ich erwarte sie dann abends.«
Adam blinzelt einen Moment zu lang. »Ja. Sir.«
»Juliette?«
Ich erstarre. Warner steht hinter mir, ich drehe mich nicht um.
»Ich erwarte von dir, dass du deinen Teil der Abmachung einhältst.«
22
5 Jahre scheinen vergangen zu sein, als wir den Fahrstuhl erreichen. 15, bis wir oben sind. Als ich in mein Zimmer gehe, bin ich eine Million Jahre alt. Adam ist still und stumm, seine Bewegungen sind abgezirkelt und mechanisch. Nichts an seinem Blick, seiner Körperhaltung, seinen Gesten verrät, dass er auch nur meinen Namen kennt.
Ich sehe zu, wie er schnell und sorgfältig die Gerätschaften entfernt, die mein Verhalten überwachen sollten. Adam wird keine Schwierigkeiten bekommen, wenn jemand fragt, warum meine Kameras nicht funktionieren. Warner selbst hat es angeordnet. Das ist unanfechtbar.
Und ich kann mich darauf verlassen, unbeobachtet zu sein.
Ich glaubte, ich würde unbeobachtet sein wollen.
Ich bin so dumm.
Adam ist nicht mehr der Junge, den ich in Erinnerung habe.
Ich war in der dritten Klasse.
Wir waren gerade in die Stadt gezogen, nachdem meine alte Schule mich rausgeworfen hatte gebeten hatte zu gehen. Meine Eltern zogen ständig um, flüchteten vor dem Chaos, das ich hinterließ – gescheiterten Treffen mit anderen Kindern, Isolation. Niemand wollte über mein »Problem« sprechen, aber die Geheimnistuerei machte alles noch schlimmer. Wenn man der Fantasie freien Lauf lässt, kann das verheerende Folgen haben. Ich hörte nur dann und wann Gemurmel und Geraune.
»Ungeheuer!«
»Hast du gehört, was die gemacht hat?«
»Die ist grässlich.«
»– aus ihrer alten Schule ist sie rausgeworfen worden –«
»Die ist komplett verrückt!«
»Die hat irgendeine Krankheit –«
Keiner redete mit mir. Alle starrten mich nur an. Ich war in dem Alter, in dem man noch weint. Mein Pausenbrot aß ich neben einem Maschendrahtzaun, alleine, und ich mied jeden Spiegel. Ich wollte das Gesicht nicht sehen, das alle so verabscheuten. Mädchen traten nach mir und liefen weg. Jungen warfen Steine auf mich. Ich habe immer noch Narben davon.
Durch den Zaun starrte ich auf die Welt draußen. Auf die Autos und die Eltern, die ihre Kinder zur Schule brachten, auf Szenen, die es für mich nie geben würde. Das war noch vor der Zeit, in der Krankheiten so normal wurden, dass der Tod in jedem Gespräch vorkam. Vor der Zeit, in der wir merkten, dass die Wolken seltsam aussahen, dass alle Tiere verendeten oder krank waren; bevor wir verstanden, dass alle in Kürze verhungern würden. Damals glaubten wir noch, dass es für Probleme Lösungen gäbe. Damals war Adam der Junge, der zu Fuß zur Schule ging. Der drei Reihen vor mir saß. Seine Kleider waren noch ärmlicher als meine, und er hatte nie ein Pausenbrot dabei. Ich habe ihn niemals etwas essen sehen.
Eines Morgens wurde er mit dem Auto zur Schule gebracht.
Das weiß ich, weil ich gesehen habe, wie er aus dem Auto rausgestoßen wurde. Sein Vater war betrunken, schrie herum und schwang die Fäuste. Adam stand ganz still, starrte auf den Boden, als warte er auf etwas, als wappne er sich gegen das Unvermeidliche. Ich sah, wie ein Vater seinem achtjährigen Sohn ins Gesicht schlug. Sah, wie Adam zu Boden sank, und ich stand reglos da, als sein Vater ihm in die Rippen trat.
»Alles deine Schuld! Alles deine Schuld, du nutzloses Stück Scheiße«, schrie sein Vater immer wieder, bis ich mich erbrach, auf ein Büschel Löwenzahn neben mir.
Adam weinte nicht. Er blieb eingerollt am Boden liegen, bis sein Vater aufhörte und wegfuhr. Erst als Adam sich alleine glaubte, begann er heftig zu schluchzen, seine Tränen flossen in den Staub, und er schlang die
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