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Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
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erzählte eine meiner Töchter später, sei ihr der Gerichtssaal vorgekommen, als sie ihn zum ersten Mal betrat. Das Erste, was ich wiederum erblickte, als ich am 8. April hereingeführt wurde, waren meine vier Kinder, die als Zuschauer hinter der Balustrade saßen.
    Alle vier waren nach Florida gekommen, um mir beizustehen. Aber auch um dem Gericht zu zeigen, wer hier auf der Anklagebank saß: ihr geliebter Vater. Ich hatte die vier zuletzt vor drei Monaten in Hamburg gesehen. Es war unglaublich schön und unglaublich schlimm, ihnen in dieser Situation wieder zu begegnen.
    Später erzählten meine Kinder, dass ich anfangs nur kurz zu ihnen hinübergeschaut und mich dann sofort abgewandt hätte. Wahrscheinlich hätte es uns alle sonst einfach zerrissen.
    Der Platz, der mir zugewiesen wurde, lag ganz nah bei den Zuschauerbänken. Wir saßen nur etwa zwei Meter voneinander entfernt, aber wir durften uns nicht berühren und anfangs auch nicht miteinander sprechen. Dabei war so viel passiert! Die Kinder, die natürlich alle fein zurechtgemacht waren, sahen einen Vater wieder, den sie so nicht kannten: abgemagert, in Ketten gelegt, in einen Anzug gesteckt und bartlos. Und natürlich unter ständiger Bewachung durch mehrere marshals.
    Später habe ich mich dann doch zu ihnen umgedreht. Wir konnten nicht viel mehr tun, als einander zuzuwinken und uns stumm in die Augen zu sehen. In diesem Moment fragten wir uns wohl alle, wann dieser Albtraum ein Ende haben würde.

    Ein paar Tage später konnten mich meine Söhne und Töchter im Gefängnis besuchen. Dann jedenfalls konnten wir miteinander reden, auch wenn wir dabei durch eine Glasscheibe getrennt waren. Meine Kinder lernten durch diese Besuche eine andere Seite der Knastrealität kennen – die der Angehörigen.
    Sie betraten das Broward County Jail durch eine große Halle, in der meist Gewimmel herrschte. Für einen Großteil der schwarzen oder hispanischen Besucher gehörte diese Situation ganz selbstverständlich zu ihrem Alltag. Ganze Familien hielten, während sie auf ihre Besuchszeiten warteten, ihr Picknick ab. «Die saßen da im Jogginganzug, in dreckigen Klamotten, stritten sich und pöbelten herum. Chips flogen durch die Gegend, überall lagen zerfetzte Plastiktüten, manchmal kam es auch zu Handgemengen. Dazwischen liefen kleine Kinder herum … die taten mir so leid, weil sie das alles erleben mussten», erinnert sich Lisa Lou.
    Meine Kinder, die in dieser Gesellschaft wie Exoten gewirkt haben müssen, wurden von Wachmännern am Eingang abgeholt und relativ zügig durch das Tohuwabohu hindurchgeschleust. Weil sie nur kurz in den USA waren, waren sie für besondere Besuchszeiten angemeldet.
    Natürlich mussten sie diverse Sicherheitskontrollen absolvieren. Danach traten sie in einen langen, gebogenen Gang, der an den Fenstern vorbeiführte, hinter denen wir Gefangenen Platz nehmen würden. Wir, die Besuch zu erwarten hatten, waren auf der anderen Seite in einem großen halbrunden Raum versammelt.
    Sonntags war Besuchstag für die juveniles – die Gefangenen, die noch unter 14 waren. Dann warteten auch viele Jungen, die wirklich noch Kinder waren, mit uns auf ihren Besuch. Sie trugen orangefarbene Overalls, die ein bisschen wie Strampelanzüge wirkten und damit ihr kindliches Aussehen noch unterstrichen. Auf der anderen Seite der Glasscheibe nahmen afroamerikanische Mütter im Sonntagsstaat Platz.
    Andere Gefangene, die oft nur wenige Jahre älter waren, waren bereits selbst wieder Väter. Ihre kleinen Kinder bekamen sie zu sehen, wenn irgendjemand die schreienden und zappelnden Bündel hoch vor die Scheibe hielt.
    Lisa Lou, Jakob, Anne Jo und Jonathan kamen jeweils zu zweit ins Broward County Jail und teilten sich, während sie mit mir sprachen, einen Telefonhörer. Gemeinsam quetschten sie sich in eins der nach hinten offenen Abteile, die nur seitlich durch dünne Wände voneinander getrennt waren. Während meine Kinder versuchten, sich halbwegs sinnvoll mit mir zu unterhalten, bekamen sie also in voller Lautstärke mit, was in den Nachbarkabinen geschah. «Du hörst nur durch den Telefonhörer, was der Mensch hinter der Scheibe gerade sagt – aber was die ganze Gang neben dir sagt, das verstehst du sehr deutlich! Alle schreien total ins Telefon. Und das sind dann locker 60 Leute, die da lachen, schreien, weinen … es war extrem anstrengend», erinnert sich Lisa Lou. Auf meiner Seite der Trennscheibe sah es nicht anders aus.
    Aber dies waren die einzigen

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