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Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
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Augenblicke, in denen wir uns über ganz normale, private Themen austauschen konnten. Darüber, wie es mir ging, wie mein Alltag im Knast aussah und was in ihrem Leben so passierte, wenn sie nicht gerade mit meinem Fall beschäftigt waren. Und wir konnten trotz allem auch zusammen lachen. Stolz präsentierte ich ihnen hinter der Glasscheibe meine neue, so viel schlankere Figur.
    Ihre Besuchserlaubnis war auf jeweils eine Stunde begrenzt. Danach traten sie aus dem Broward County Jail und fanden sich draußen im schönsten Sonnenschein wieder, in einer Umgebung, die ihnen nach dem soeben Erlebten völlig irreal vorkam. Menschen flanierten in Sommerkleidung durch die Straßen, saßen in den Cafés am Ufer des Intracoastal und genossen ihre Freizeit. Am Wochenende wurden Parkplätze vor dem Gefängnis zur teuren Mangelware, denn hier ging es auch zu einer besonders beliebten Bar am Wasser.
    Direkt gegenüber dem Gefängnisgebäude lag ein An- und Verkaufsgeschäft, das auch Kredite vergab. Man konnte sich dort, gegen horrende Zinsen, sofort Geld leihen. Die wichtigste Zielgruppe für dieses Angebot waren augenscheinlich Leute, die eine Kaution aufbringen mussten, um einen ihrer Lieben aus dem Knast zu holen.
    Eine Leuchtreklame machte Werbung für das teure, schnelle Geld. Ihre Farbe wechselte in rhythmischen Abständen von Rot auf Blau, 24 Stunden lang, den ganzen Tag und die ganze Nacht.

13
    Die Umstände, unter denen die Besuche meiner Kinder im Broward County Jail stattfanden, waren bedrückend. Aber die Stimmung unter uns war eigentlich ziemlich gut: Wir hofften darauf, wir rechneten in diesen Tagen heimlich damit, dass wir uns schon in wenigen Wochen in einer ganz anderen Umgebung wiedersehen würden: zu Hause, in Hamburg. Niemand konnte sich wirklich vorstellen, dass die Jury mich schuldigsprechen würde. Auch meine Anwältin war optimistisch, aber sie versuchte, unsere Erwartungen zu dämpfen: Man musste mit allem rechnen.
    Die Anklage, formuliert von Staatsanwalt Christopher Clark, lautete nicht auf Erpressung, sondern auf conspiracy to commit extortion , auf eine «Verschwörung, um eine Erpressung zu begehen», einen Straftatbestand, den es in Deutschland gar nicht gibt (mehr zum Thema conspiracy s. Seite 90   f.). Und dies war nicht der einzige der Unterschiede, die ich erst jetzt zu verstehen begann: In unserem Rechtssystem gilt die Staatsanwaltschaft als «neutralste Behörde der Welt»; sie ermittelt gegen den Angeklagten, muss aber auch Beweise prüfen, die ihn entlasten. Im amerikanischen Strafprozess hingegen stehen sich Staatsanwalt und Verteidigung als streitende Parteien gegenüber.
    Der Gerichtssaal wird dadurch zum Schauplatz eines Wettstreites: Vorne sitzen, um den eigentlichen Kampfplatz herumgruppiert, die Richter, der Staatsanwalt, die Angeklagten mit ihren Verteidigern und, auf einer Tribüne leicht erhöht, die Geschworenen. In der Mitte befindet sich der Zeugenstand, vor allem aber viel Platz. Auf diesem Feld läuft fast immer jemand herum, um seine Worte mit großen Gesten und raumgreifenden Bewegungen zu unterstreichen.
    Staatsanwalt und Verteidiger stehen in Zivilkleidung vor Gericht. Jedes Detail ihres Auftritts ist wichtig, weil es Eindruck auf die Geschworenen machen könnte – das sind ja Menschen, die oft zum ersten Mal in ihrem Leben an so einem Spektakel teilnehmen. Meine Anwältin Jeanne Baker erschien stets sorgfältig zurechtgemacht in einem edlen Kostüm. Staatsanwalt Clark trug immer einen dunklen Anzug, und zwar jeden Tag einen anderen.
    Richter Dimitrouleas gab sich diesem ganzen Spektakel gegenüber demonstrativ entspannt. Meist saß er zurückgelehnt auf seinem Stuhl, wippte ein wenig hin und her und wirkte, als seien seine Augen fast geschlossen. Seine übrigen Gesichtszüge verschwanden fast vollständig hinter seinem dunklen Bart. Es war unmöglich, zu erkennen, was in ihm vorging.

    Donald VanHoose war der erste Zeuge, der für die Staatsanwaltschaft in den Zeugenstand trat: Der FBI-Ermittler war ein eher unauffälliger Mann von etwa 30 Jahren. Vor Gericht erschien er im dunklen Anzug. Und so saß er auch neben Bill Schureck, seinem Vorgesetzten, und Staatsanwalt Clark während des gesamten Verfahrens im Gerichtssaal.
    VanHoose präsentierte sich als schlichter, aber eifriger Ermittlungsbeamter. Bis vor anderthalb Jahren war er einfacher Polizist in Kansas gewesen; mit ein paar Fortbildungsmaßnahmen hatte er es jetzt zum FBI geschafft, wo er in der Eurasian

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