Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
einen Schatten auf dieses wohlbehütete Leben warfen.
Aus der Zeugenaussage von Sabine F. erfuhren wir schließlich auch, wie der Kontakt der F.s zum FBI zustande gekommen war. Carl F. war, nachdem er das Verfahren vor dem Hamburger Landgericht verloren hatte, der Ernst seiner Lage bewusst geworden: Es gab hohe finanzielle Forderungen gegen ihn, es drohte ein Strafverfahren, und das wiederum konnte aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben. Sein komfortables Dasein in Florida stand in Frage.
Er tat, was er tun musste: Er sprach mit seiner Frau darüber. Er erzählte ihr, dass er viel Geld bezahlen sollte, dass ihm ein Strafverfahren drohte und man ihn bei der Ausländerbehörde anschwärzen könnte. Er erzählte ihr außerdem, dass ihr Leben und das ihrer Kinder nicht mehr sicher sei, weil ein paar dunkle Gestalten es bedrohten. Sabine F. war schockiert, empört und stand angesichts dieser Gefahr natürlich zu hundert Prozent auf der Seite ihres Mannes. Was also tun? Sie hatte eine Idee: Da gab es doch diesen Klassenkameraden ihres Sohnes, dessen Eltern beide beim FBI arbeiteten. Ob man den Vater nicht mal ansprechen sollte? Das FBI, so erklärte Sabine F. vor Gericht, garantiere irgendwie doch noch mehr Sicherheit als die Polizei.
Wie gut sich Bill Schureck und die F.s wirklich kannten, wissen wir bis heute nicht. Auf jeden Fall lebten sie nur ein paar Blocks voneinander entfernt, hatten Söhne, die in dieselbe Klasse gingen und in der derselben Baseballmannschaft spielten. Gute Nachbarn helfen einander. Und so nahm das FBI die Ermittlungen auf.
Die Frau von Bill Schureck übrigens, Rosa Schureck, gehörte zu den FBI-Beamten, die Carlos Alvarez im Sommer 2005 nach dem Kirchgang aufgelauert hatten. Sie war es, die genau darüber Bescheid wusste, wie seine Kinder lebten. Und die ihn in diesem Verhör daran erinnerte, dass er seiner 13-jährigen Tochter doch sicher nur das Beste wünsche.
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Niemand wusste genau, wie lange der Prozess dauern würde. Jeden Tag gab es, jedenfalls theoretisch, die Chance eines plötzlichen Freispruchs oder einer plötzlichen Einstellung des Verfahrens. Darauf wollte ich vorbereitet sein, und dabei gab es etwas, was mir Sorgen machte: Ich war am 13. Januar 2006 als Tourist in die USA eingereist. Meine Aufenthaltserlaubnis endete 90 Tage später, am 13. April. Nicht zuletzt aus diesem Grund wollte ich die USA nach meiner Entlassung so schnell wie möglich verlassen oder notfalls im Deutschen Konsulat in Miami Zuflucht suchen. Ich bat deshalb Jan Jütting und meine Töchter, jeden Tag eine gepackte Tasche und ein Fahrzeug bereitzuhalten, damit sie gegebenenfalls direkt aus dem Gericht mit mir wegfahren konnten. Alle Beteiligten waren genau instruiert, was sie zu tun hatten, wenn ich tatsächlich freikäme.
Nachträglich hört sich so etwas verrückt an. Aber tatsächlich gilt es in den USA als Straftat, nur einen Tag länger als erlaubt im Land zu bleiben, und zwar ganz unabhängig davon, ob man diese «Aufenthaltsverlängerung» selbst zu verantworten hat oder nicht. Man kann deswegen sofort festgenommen und in Abschiebehaft genommen werden. Und manche müssen dann ziemlich lange auf ihre Abschiebung warten.
War es wirklich denkbar, dass ich von einem auf den anderen Tag freikam? William Dimitrouleas, unser Richter, signalisierte uns im Laufe des Verfahrens mehrmals, dass er nicht mehr an eine Verurteilung glaubte. Drei Mal forderte er uns auf, einen Antrag auf sofortige Beendigung des Verfahrens nach rule 29 zu stellen: Danach kann der Richter die Jury entpflichten und die Angeklagten sofort freisprechen, wenn er die Anklage für offensichtlich unbegründet hält. Als wir diesen Antrag dann schließlich stellten, lehnte Dimitrouleas ihn ab. Ob das gut oder schlecht für uns war, konnten wir damals nicht einschätzen. Nach einem Freispruch durch den Richter nämlich hätte der Staatsanwalt in Berufung gehen können. Ein «nicht schuldig» durch die Jury aber ist nicht anfechtbar. Wahrscheinlich rechnete unser Richter damals einfach damit, dass uns nur noch wenige Tage von der Freiheit trennten.
Auch die Bewacher, die mich jeden Tag aus der Arrestzelle auf die Anklagebank führten, waren von meiner Unschuld inzwischen überzeugt. Ich würde wohl bald schon wieder zurück sein, auf der German Autobahn , sagte einer einmal zu mir, und er meinte es nicht im Scherz. In den Verhandlungspausen durfte ich mich inzwischen über die Balustrade hinweg mit meinen Kindern unterhalten,
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