Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
jedenfalls ganz eindeutig um nichts anderes als den Sieg.
Liegt es an einem Fehler im System, dass amerikanische Ankläger so aggressiv agieren?
Ich finde, niemand sollte Staatsanwalt werden, ohne mindestens fünf Jahre Strafverteidiger gewesen zu sein. Als Strafverteidiger lernt man die menschlichen Dimensionen der Situation kennen. Man versteht, wie es dazu kommt, dass jemand Fehler macht und die Konsequenzen seines Handelns nicht richtig bedenkt. Man erfährt, was für schreckliche Dinge Menschen passieren können, und es wird einem klar, dass die Strafen, die in den USA verhängt werden, einfach viel zu hoch sind. Denn vor allem die Familien der Verurteilten haben extrem darunter zu leiden. Das alles sollte jemand erlebt haben, bevor er die extreme Macht ausüben kann, die ein Staatsanwalt bei uns hat.
Hätte der Staatsanwalt in Reinhard Berkaus Fall das Verfahren denn aufhalten können?
Chris Clark hätte den Prozess zu jedem Zeitpunkt einfach sofort beenden können. Staatsanwälte haben in unserem Land eine enorme Macht. Sie können in jeder Phase des Verfahrens entscheiden, ob sie anklagen oder nicht; und da gibt es oft viele verschiedene Optionen. Wir wissen, dass die Bush-Administration ein Memo verfasst hat, in dem alle Staatsanwälte angewiesen wurden, immer den schwerwiegendsten Anklagepunkt auszuwählen. Das ist doch furchtbar! So ein internes Papier ist zwar kein Gesetz, aber praktisch eine Anweisung vom obersten Chef. Und die meisten halten sich auch daran. Natürlich gibt es einige Staatsanwälte, die bereit sind, sich die Dinge auch aus Sicht der Verteidigung anzusehen. Aber in der überwältigenden Mehrheit sind es sehr rigide Ankläger, die ihre Aufgabe nur darin sehen, die höchstmögliche Bestrafung durchzusetzen.
Und Sie als Verteidigerin – hätten Sie in diesem Verfahren etwas anders machen können?
Die schwierigste Entscheidung, die wir zu treffen hatten, war die, ob Reinhard Berkau selbst in den Zeugenstand treten sollte. In den USA sagt ein Angeklagter unter Eid aus. Wenn er dann am Ende aber verurteilt wird, kann er eine höhere Strafe bekommen, weil der Richter die Aussage des Angeklagten als Meineid bewertet. Reinhard und ich haben sehr lange darüber nachgedacht, ob er in den Zeugenstand gehen soll, und – so denke ich – eine vernünftige Entscheidung dagegen getroffen. Aber war sie wirklich richtig? Ich weiß es nicht. Sogar in der Rückschau, und angesichts eines Urteils, das mich extrem erzürnt … ich weiß immer noch nicht, ob ich ihn nicht doch in den Zeugenstand hätte rufen sollen.
Jeanne Baker ist seit 1973 als Strafverteidigerin in den USA tätig. Sie ist Präsidentin der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation ACLU (American Civil Liberties Union) in Florida, einer Organisation, die gegen staatliche Angriffe auf die Bürgerrechte von Bewohnern und Besuchern der USA kämpft.
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Einen Tag nach der Urteilsverkündung, am Samstag, dem 22. April 2006, schrieb ich einen Brief an die Mitglieder meiner Oldie-Rockband in Hamburg:
«Euch habe ich in der letzten Zeit etwas vernachlässigt. Das Verfahren hier hat mich sehr in Anspruch genommen. Für Eure Unterstützung, Eure Briefe und Mails bedanke ich mich sehr. Für mich war und ist es keine leichte Zeit, umso mehr habe ich mich gefreut! Ihr werdet inzwischen wissen, dass mein Zeitplan nicht aufgeht, ich werde in den nächsten Monaten nicht nach Hamburg zurückkehren können. Ich bin von einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Zorn erfüllt, aber auch mit Ärger über meine Naivität. Die USA haben mit einem Rechtsstaat in unserem Sinne nichts zu tun. Ob hier jemand im Gefängnis sitzt oder nicht, entscheiden zu einem beträchtlichen Teil Zufall und Willkür. Die hiesige Staatsanwaltschaft ist nicht an Wahrheit, sondern an Verurteilung interessiert, der Jury werden völlig ungeniert mit Vorsatz Lügen und Verdrehungen aufgetischt. Wer von Euch zu meinem Fall nähere Einzelheiten wissen möchte, sollte sich auf ein Glas Wein mit Jan, der mich hier mit verteidigt, und Anne zusammensetzen. Ich selbst werde mit der Situation vergleichsweise gut fertig. Was wirklich wehtut, ist die Trennung von den Kindern, von Veronika und von den Freunden, von Euch. Aber wir arbeiten daran. Schreiben kann ich, wie Ihr seht. Telefonieren geht momentan begrenzt innerhalb von Florida, vielleicht aber bald auch nach Deutschland.
Natürlich fehlt mir das Musikmachen mit Euch. Ich habe allerdings begründete Hoffnung, dass ich ab August
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