Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
Monitor verfolgen. Blutdruck und Herzfrequenz schienen in Ordnung. Ich hatte einen kurzen Blick auf den EKG-Ausdruck aus dem Broward County Jail werfen können: Mit der Kurve konnte ich nichts anfangen. Aber rechts oben auf dem Bogen war vermerkt, dass es Unregelmäßigkeiten gebe und ein Herzinfarkt unbekannten Alters nicht auszuschließen sei.
Zum Abschluss der Untersuchungen ließen sie mich einen sogenannten Stress-Test absolvieren. Dazu gehörte ein Belastungs-EKG auf dem Fahrrad und eine Spritze, die meinen Puls kurzfristig in die Höhe trieb. Solche Tests macht man nur mit Patienten, die nicht akut gefährdet sind, das wusste ich.
Danach wurde ich in ein ganz normales Einzelzimmer verfrachtet. Auf einem Plastik-Armband, wie es Neugeborene auf der Entbindungsstation tragen, war vermerkt, wie ich für die Dauer meines Krankenhausaufenthaltes heißen sollte: Ronald Black. Ich hatte einen Fernseher am Bett und konnte mir das Programm selbst aussuchen. Zwei bewaffnete deputies im Schichtdienst passten auf mich auf. «Okay, ich liege jetzt im Zimmer 6006 und mir geht es gut. Da kommt eine Krankenhausangestellte rein, mit einem Mini-Computer (Palm-Top) in der Hand und fragt die deputies und mich, was es denn zum Essen sein soll: Hamburger oder Beef-Stew oder Sandwich mit Chicken-Salad? Ich wähle verantwortungsbewusst das Sandwich. Ob als sidedish ein Salat gewünscht wird? Yes! Ob ich Milch, Fruchtsaft oder Eistee gerne hätte? Fruchtsaft. Welcher es denn sein soll, Apfelsaft, Orangensaft oder Cranberries? Cranberry natürlich, soll die Nierenfunktion anregen. Als sie sich anschickt rauszugehen, schaue ich die deputies an und sage zu ihnen: ‹I think I am in Paradise!›» So schilderte ich diesen Teil dieses Erlebnisses in einem Brief an meine Kinder. Ich hatte noch nachträglich meinen Spaß daran. Es hatte mir einfach gutgetan, für kurze Zeit mal wieder so behandelt zu werden, wie ich es mein Leben lang für normal gehalten hatte.
Nach zwei Tagen erfolgte die Vertreibung aus dem Paradies. Es ging zurück ins Broward County Jail . Niemand sprach mit mir über die Ergebnisse der Untersuchungen. Der junge Gefängnisarzt versprach mir immerhin, die Befunde anzufordern. Ich selbst vermutete, dass mein Zusammenbruch die Folge der hartnäckigen Magen-Darm-Beschwerden war, die durch die einseitige Gefängniskost und meine noch einseitigere Auswahl daraus verursacht worden waren. Heute ist mir aber klar, dass mein Körper damals etwas ausgedrückt hat, was ich meiner Psyche einfach nicht erlauben konnte: den Zusammenbruch.
Meine Zellengenossen hatten während meiner Abwesenheit darauf geachtet, dass meine Sachen nicht wegkamen und mein Bett nicht anderweitig belegt wurde. Auf diese Jungs war wirklich Verlass. Das Leben im Knast konnte weitergehen.
17
Ein Andenken an die Zeit im Broward County Jail habe ich über meine gesamte Knast-Odyssee hinweg gerettet: die Zahnbürste. Wer ein solches Utensil noch nicht gesehen hat, erkennt nicht gleich, welchen Zweck der durchsichtige, mit ein paar Borsten versehene Fingerling aus Silikon erfüllen soll. Man kann sich damit genauso wenig die Zähne putzen, wie man ihn als Waffe gegen sich selbst oder andere einsetzen könnte.
Fingerzahnbürste und biegsamer Kuli: Als Waffe garantiert ungeeignet
Die normalen Zahnbürsten waren eingesammelt und die Fingerlinge ausgeteilt worden, während ich vorübergehend im FDC Miami saß. Vermutlich hatte irgendein Hersteller von Hygiene-Artikeln dem Chef des Hauses, Sheriff Ken Jenne, ein Angebot unterbreitet, das dieser nicht ablehnen konnte. Jenne war Direktor eines Sicherheitsunternehmens mit einem Jahresbudget von 638 Millionen Dollar und über 6000 Angestellten. Er hatte die Polizei, die Gefängnisse und die Feuerwehr im Broward County unter sich, und er verwaltete das Geld, das für Immobilien, Fahrzeuge, Waffen, Überwachungstechnik, Uniformen, Möbel, Lebensmittel und vieles mehr ausgegeben wurde. Es dürfte nicht wenige Wirtschaftsunternehmen gegeben haben, die großes Interesse daran hatten, mit Jenne ins Geschäft zu kommen. Ende Mai 2006 geriet der Sheriff in die Schlagzeilen der Zeitungen, die manchmal bei uns im Gemeinschaftsraum herumlagen, des «Sun Sentinel» und «USA Today». Ein paar Lokaljournalisten hatten gründlich recherchiert und warfen ihm vor, dass er sich bei der Verteilung seiner Aufträge durch finanzielle «Freundschaftsdienste» korrumpieren lasse. Dann verschwand das Thema wieder aus den Medien.
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