Ich gegen Dich
Vorbehalte gegen die Polizei und lässt nicht zu, dass ich sie an andere Institutionen weitervermittle, psychologische Beratungsstellen etwa oder das Krisenzentrum für Vergewaltigungsopfer,«
Bei dem Wort zuckte Mikey zusammen; er vertrug es nicht.
»In den Wochen, seit ich sie kennengelernt habe, ist mir klar geworden, dass es vielleicht tieferliegende Probleme in der Familie gibt, die sie beeinträchtigen.«
»Was denn so?«
»Das ist kompliziert, Mikey, aber um ein Beispiel zu nennen: Mir ist aufgefallen, dass eure Mum häufig tagsüber schläft, was bedeutet, dass Karyn sehr viel allein ist. Außerdem ist mir aufgefallen, dass Karyn viel von der Betreuung ihrer Schwester übernimmt und sich verpflichtet fühlt, bei den verschiedensten Haushaltspflichten wie Kochen und Putzen zu helfen, die ihr zur Zeit vielleicht besser nicht aufgebürdet werden sollten.«
»Sie hat schon immer all so was gemacht. Sie macht das gern.«
»Mag sein, aber zur Zeit scheint sie da keine große Wahl zu haben. Deshalb hab ich also das Jugendamt kontaktiert, damit sie mir helfen, ein genaueres Bild von eurer Familie zu bekommen.«
»Sie sagen, dass Karyn Ihnen gegenüber misstrauisch ist, aber damit haben Sie das nur verschlimmert. Wenn Sie uns anderen hinterherspionieren, wird ihr das nicht gerade Vertrauen zu Ihnen einflößen.«
»Ich habe die Pflicht, alles Beunruhigende zu berichten, Mikey, und um ehrlich zu sein, in dieser Familie gibt es einiges, das in diese Richtung geht.«
»Zum Beispiel, dass meine Mum tagsüber ein Nickerchen macht?«
»Nicht nur das. Auch Holly.«
»Holly? Wieso die? Der geht's gut.«
»Sie fehlt oft in der Schule, Mikey, und auf Nachfrage bei ihrer Lehrerin hab ich erfahren, dass sie oft zu spät kommt, wenn sie kommt, oder auch nach Schulschluss zu spät abgeholt wird. Offenbar hat sie jetzt seit Wochen weder Schultasche noch Turnbeutel dabei.«
»Sie sollen wegen Karyn hier sein. Was kümmern Sie sich darum, ob Holly ihren Turnbeutel vergisst?«
»Ich bin wegen Karyn hier, aber ich muss die Umstände in ihrer Umgebung mit berücksichtigen. Eine achtjährige Schul-schwänzerin, da läuten bei mir die Alarmglocken, Mikey.«
Damit meinte sie eigentlich, dass sie gern die Nase in fremder Leute Angelegenheiten steckte. Karyn hätte ihre Polizistin an kürzerer Leine halten, nett zu ihr sein, sie bespaßen und vom Rest der Familie ablenken sollen.
»Ist Holly heute in der Schule?«
Jetzt ging die Fragerei los. Er musste sich konzentrieren.
»Ja, ich hab sie hingebracht.«
»Prima. Bringst normalerweise du sie hin?«
»Früher hat Karyn das gemacht, aber jetzt wechseln Mum und ich uns damit ab.«
Wenn er versprach, Holly jeden Tag pünktlich zur Schule zu bringen, würde diese Frau das Jugendamt vielleicht zurückpfeifen. Ihre Anwesenheit war ihm genau so ein Gräuel wie irgend so eine Zierstickerei im Wohnzimmer. Wenn er sie auf seine Seite zog und bei ihr den Eindruck erweckte, dass er Herr der Lage war, dann würde sie vielleicht weggehen und ihre neugierigen Freunde mitnehmen.
»Na«, sagte sie, »dann holt deine Mum also später Holly ab, oder wie?«
»Jap.« Er atmete tief durch. »Sagen Sie, möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee?«
Sie lächelte ihn an. »Das wäre wunderbar, vielen Dank. Mit Milch, ohne Zucker, bitte.«
Das traf sich gut, sie hatten nämlich überhaupt keinen Zucker. Er ging um die Ecke in die Küche, setzte Wasser auf, schüttelte den letzten Milch-Bodensatz im Karton und schnüffelte kurz daran. Es ging gerade noch.
Während er darauf wartete, dass das Wasser kochte, beobachtete er sie dabei, wie sie die Karten und Zeitschriften, die Karyn von ihren Freundinnen bekommen hatte, musterte, die Vorhänge und den Fernseher einer Prüfung unterzog, sich davon überzeugte, dass die meisten DVDs jugendfrei waren.
Der Tee war in Ordnung: Die Farbe stimmte, und die Milch bildete nicht diese fiesen Flöckchen. Er brachte ihn rein, stellte ihn vor ihr auf dem Tisch ab und setzte sich wieder.
»Danke«, sagte sie. Sie nahm ein Schlückchen und lächelte. »Prima.«
Er nickte und fragte sich, ob er ihr erzählen sollte, dass er eine Ausbildung zum Koch machte, entschied sich aber dagegen. Wahrscheinlich war es besser, keine Informationen preiszugeben. Damit brachte man sich nur in Schwierigkeiten.
Minutenlang saßen sie schweigend da, während sie ihren Tee trank. Es zog sich ein wenig hin. Sollte er jetzt etwas tun oder sagen? Erwartete sie einen Keks? Er spürte die
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