Ich gegen Dich
sauber, hellwach gefühlt.
»Jetzt komm ich«, rief er. Das hörte sich ganz danach an, als wollte er sich selbst Mut machen, und brachte sie zum Lächeln. Dieses männliche Tapferkeitsgehabe kannte sie von Tom, wenn sie nicht nur alle anderen, sondern zugleich auch sich selbst von etwas überzeugten. Ihr Vater machte es mit Landkarten.
Er ging in die Knie und sprang, so wie sie vorhin. Er schrie, nichts als Arme und Beine und ein so großer Platscher, dass sie das Gesicht abwenden musste. Als sie wieder hinsah, war er unter Wasser verschwunden. Sie beobachtete die Bläschen und wartete.
Nach Luft schnappend, tauchte er auf. »Alter, ist das kalt.« Er sah aus, als weinte er, wie das Wasser so an seinen Wimpern hing und seine Wangen hinablief.
»Aber n gutes Gefühl, was?«
»Es ist saukalt!«
Lächelnd schwamm sie auf ihn zu. »Kannst du nicht damit umgehen?«
Er spritzte sie nass. Sie spritzte zurück. Er versuchte, sie unterzutauchen, wusste aber nicht, dass sie schnell war und ihm leicht entkommen konnte. Sie ließ ihn nahe an sich herankommen, tauchte dann ab, kam hinter ihm wieder hoch und stupste ihn zuerst unter. Lachend schwamm sie weg. Sie ließ sich auf dem Rücken treiben und sah hinauf in den Himmel. Sie hoffte, dass sie dünn und souverän wirkte. So wie ihre Lungen sich weiteten und anpassten, kam sie sich vor wie eine Spitzensportlerin.
Sie packte einen tief hängenden Ast und sah ihm entgegen, während er auf sie zuschwamm. Er hielt sich auch daran fest, und da hingen sie nun beide. Wenn sie sich nicht bewegten, war die Wasseroberfläche spiegelglatt, das Wasser dunkel und undurchsichtig.
»Was passiert, wenn man davon trinkt?«, fragte er.
»Man stirbt.«
Er schaute erschreckt drein. »Echt jetzt?«
Sie grinste. »Nein, es ist Stufe B, das heißt ziemlich sauber. Obwohl es sich etwa fünf Kilometer weiter in Flussarme verzweigt und durch die Salzmarschen fließt. Da würdest du nicht drin schwimmen wollen.«
»Warum nicht?«
»Weil da schon die Gezeiten reinspielen; man weiß also nie, wie tief es ist. Außerdem jede Menge Sickerschlamm.«
»Mir gefällt, wie gut du dich auskennst«, sagte er und sah ihr in die Augen.
»Wirklich?«
»Mir gefällt sogar ganz schön viel an dir.«
Das klang so nach plumper Anmache, dass sie lachen musste.
Er streckte die Hand aus und streifte mit den Fingern ihren Mund, als könnte er die Kälte wegwischen. Es war unglaublich, wie ihr Körper darauf reagierte – das Herzrasen, der verrückte Adrenalinstoß. Sie wollte seinen Finger küssen. Oder lecken. Sie wollte, dass er ihn in ihren Mund steckte.
»Du siehst selber nicht so aus, als ob dir besonders warm wär«, flüsterte sie.
»Dann sollten wir vielleicht rausgehen.«
Aber keiner von beiden rührte sich.
Er näherte sich ihr. Seine Augen waren braun, mit dunkelgoldenen Sprenkeln. Er küsste sie sehr sanft. Seine Hand berührte ihre Wange, als sei sie unendlich kostbar.
Nach einer Weile machte er sich los und sagte: »Ich glaub, wir sollten wirklich hier raus. Du zitterst wie verrückt.«
Sie vergrub Nase und Mund in seiner Halskuhle und küsste ihn dort einmal zum Abschied. Dann kletterten sie beide die Uferböschung hoch und rannten zu der Stelle, wo sie ihre Klamotten abgelegt hatten.
Sie schnappte sich ihre Strumpfhose, um sich damit abzutrocknen, er nahm sein T-Shirt. Mit klappernden Zähnen hüpften sie herum und rubbelten sich trocken.
»Laufen«, sagte er, »komm schon, wir müssen warm werden.«
Er packte ihre Hand und zog sie mit übers Gras. An den Bäumen angekommen, schwenkte sie ihn so herum, dass sie einen Satz rückwärts machten. Abwechselnd gaben sie sich Anweisungen. Die Uferböschung rauf und runter – in großen Sprüngen hin, hüpfend zurück; im Pogotanz, als Flugzeug (mit Flügeln und Motorgeräuschen), ehe sie sich nach Luft schnappend und lachend ins Gras fallen ließen.
»Davon«, sagte er, »ist mir höchstens ein ganz klein bisschen warm geworden. Ich schwör's, noch nie im Leben war ich so durchgefroren.«
»Dann musst du es als Nächstes mit dem Meer probieren«, lachte sie. »Und ich mein nicht irgend so'n zahmes Meer, sondern die wilde See. Meine Oma hat ein Häuschen drüben an der Bucht, und da ist ein toller Strand. Mit fantastischen Wellen, richtig heftig. Wenn du willst, nehm ich dich mal dahin mit.«
»Versprochen?«
»Klar.«
Und beide lächelten sie, als wüssten sie etwas, und seine Hand fasste ihre und hielt sie fest, und das war ein
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