Ich gegen Dich
bedrängt zu werden.
»Zwei Minuten«, sagte er.
Sie setzten sich zusammen auf die Mauer, vor ihnen die Aufzugtüren. Es stank nach Pisse, aber besser ging es gerade nicht.
»Also«, sagte er, »hast du dich mit noch wem gestritten?«
»Nicht wirklich.«
»Mit deinem Bruder?«
Sie schüttelte den Kopf, schaute auf ihre Schuhe runter.
»Ehrlich gesagt, wenn es was mit deinem Bruder ist, geht mir das so was von am Arsch vorbei. Da ist alles möglich, und nichts würde mich überraschen. Vielleicht lügt Karyn.«
»Nein.« Sie wandte sich ihm langsam zu, während die Angst in ihren Augen aufflackerte. »Ich wollte glauben, dass Tom unschuldig ist. Wochenlang hab ich das gewollt. Aber ich glaube, er war's, und ich werd nicht für ihn aussagen.«
»Na und?«
Stirnrunzelnd sah sie ihn an, verblüfft. »Das ist doch krass! Ich soll mich vor Gericht hinstellen und sagen, ich hätte weder was gesehen noch was gehört. Ich soll sagen, dass mein Bruder ein reizender Mensch ist, der deiner Schwester nie im Leben etwas antun könnte. Aber ich mach's nicht.«
Sie hatte schließlich keinen Videobeweis oder irgend so was. Genug andere Leute würden vor Gericht aussagen und ihren Bruder verteidigen, selbst wenn sie es bleiben ließ.
»Das wird nichts ändern, Ellie.«
Sie stieß einen leisen Schluchzer aus, und das erschreckte ihn. Er hatte gedacht, Mädchen wie sie würden nicht weinen. Sollte der Verstand nicht das Gefühl kontrollieren?
»Hey«, sagte er. »Hey, alles klar bei dir?«
Er legte einen Arm um sie, und sie lehnte sich kurz an ihn. Es war ihr peinlich, sie versuchte, ihr Gesicht vor ihm zu verbergen, wischte sich immerzu unter den Augen, um zu überprüfen, ob ihre Wimperntusche verlaufen war.
»Tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte dich nicht runtermachen.«
Mit roten Wangen sah sie zu ihm hoch. »Warum bist du jetzt auf einmal nett zu mir?«
»Ich mag dich.«
Sie lachte los. Er lachte mit. Es hörte sich toll an.
»Hey«, sagte er, »willst du irgendwohin? Können wir machen, wenn du willst.«
»Ich hab gedacht, du musst zur Arbeit?«
»Scheiß drauf. Komm, wir hauen hier ab.«
Sie nickte. »Ja, bitte.«
Ein Volltreffer, und so unerwartet.
»Wo wollen wir hin?«
Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. »Nicht in die Nähe von mir zu Hause.«
»Okay.«
»Und nicht in die Stadt.«
Er wusste, dass es falsch war, wusste, dass er in etwas zurückfiel, das er aufgegeben hatte. Aber hier war Ellie und sagte ihm, dass ihr Bruder schuldig war. Ihre Familie würde sie deswegen hassen. Sie brauchte ihn.
Ratlos sah er sich um. Wegen Karyn konnten sie nicht hochgehen, und wegen Ellies Bruder konnten sie nicht zu ihr gehen, und wegen allen anderen konnten sie nicht in die Stadt gehen. Und sie mussten sich ziemlich schnell entscheiden. Wenn der Regen erst aufhörte, kam hier Leben in die Bude, und jemand würde garantiert aus diesen Aufzugtüren kommen und sie sehen.
»Kannst du das Auto von deinem Freund kriegen?«
Das wäre schön, aber Jacko würde gleich hier aufkreuzen, um ihn zur Arbeit abzuholen, und mit dem wollte er sich nicht anlegen.
»Vielleicht ein Bus«, sagte sie. »Wo fahren die von hier aus hin?«
»Durch die Stadt und dann raus an die Küste.«
Sie sah ihn an, als ließe sie sich etwas durch den Kopf gehen. »Fahren sie bis zur Bucht?«
Und jetzt wusste er, was sie dachte. Er sah sie starr an, wollte erreichen, dass sie es sich nicht anders überlegte, dass sie mutig genug war, das durchzuziehen.
»Ziemlich nah ran«, sagte er. »Das letzte Stück könnten wir laufen.«
»Denn da ist nämlich das Häuschen von meiner Oma.«
Er versuchte, nicht zu glücklich auszusehen. Von dem Häuschen hatte sie ihm an dem Tag erzählt, als sie schwimmen waren. Es war nahe am Strand, und es stand leer, weil ihre Oma in irgendeinem Altersheim war. Perfekt.
»Hast du einen Schlüssel?«
Nach kurzem Zögern antwortete sie: »Im Garten ist einer versteckt, für Notfälle.«
Also wenn das hier kein Notfall war! Ihm wollte kein besserer einfallen. Zwei Leute im Regen ausgesperrt, die nur miteinander allein sein wollten.
Sie blieb noch ein wenig sitzen und kaute auf ihrer Unterlippe rum. »Mein Dad bringt mich um, wenn er's rauskriegt.«
»Möchtest du lieber hierbleiben?«
Zusammen sahen sie sich um – der aufgetürmte Müll neben dem Fahrstuhl, die nassen Metalltüren, die rostfarbenen Regentropfen, die zu ihren Füßen in die Pfützen platschten.
Sie stand auf und hielt ihm ihre
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