Ich gegen Dich
Hand hin, wie damals im Pub. »Los, komm.«
Halb erwartete er, eine Menschenmenge in Jubel ausbrechen zu hören.
Er schaltete sein Handy ab, damit niemand von der Arbeit ihn nervte, und zog seine Kapuze hoch. Ellie ließ sich die Haare vors Gesicht fallen, um sich vor jedem zu verstecken, der vorüberging. Sie sahen wie ein Verbrecherpärchen aus. Es war komisch. Innerlich loderten sie, waren beide hibbelig, als sie in den Bus einstiegen. Sie setzten sich nach hinten. Es war ruhig, zu kalt und nass für Tagesausflügler. Ihre Knie berührten sich. Mikey fragte sich, was das zu bedeuten hatte, ob Ellie es überhaupt merkte. Er rutschte näher. Sie roch nach Vanille und Regen.
Sie sagten nichts. Er konnte unmöglich reden, solange ihr Knie an seinem lehnte. Seine ganze Konzentration ging dabei drauf, sich davon abzuhalten, dass er sich rüberbeugte und sie küsste. Wusste sie das? Wusste sie, dass sein ganzer Körper pochte, dass ihr Knie gegen seins stieß?
Der Bus fuhr über die Hauptstraße, vorbei an der Bäckerei und den Läden, durch den Wohnpark auf der anderen Seite der Stadt und aufs Land raus. Felder tauchten auf, Kühe, ein paar zottelige Schafe. Regen peitschte gegen die Fensterscheiben, heiße Luft strömte aus den Heizkörpern unter den Sitzen. Ihre Kleider dampften, was sie wieder zum Lachen brachte.
Als die Küste in Sicht kam, stieß sie ihn an. »Einmal hab ich dort einen Wal gesehen.«
»Ach Quatsch.«
»Doch. Mein Opa und ich sind immer über den Felsen da geklettert und haben uns ungefähr auf halbem Weg abwärts auf einen Vorsprung gesetzt. Bei Flut war es irre, wie das ganze Wasser gegen die Felsen schlug. Wir konnten stundenlang dasitzen und zusehen, wie die Schiffe vorüberzogen. Und eines Tages haben wir einen Wal gesehen«
»Also ich hab noch nie einen Wal gesehen, und ich wohn schon ewig hier.«
Mit glänzenden Augen lachte sie ihn leise an. »Na, vielleicht hast du nicht an der richtigen Stelle gesucht.«
Es stimmte. Als Kind war er manchmal mit Karyn und Holly hierhergekommen, aber sie waren bloß zum Strand gegangen. Dann aßen sie Pasteten und Doughnuts, und Mum zog sich die Schuhe aus. An sonnigen Tagen wimmelte es hier von Familien, rotverschwitzten Leuten, die Bällen hinterherhüpften und mit ihren Schwimmflügeln und -reifen auf den Wellen dümpelten. Aber einen Wal hatte er nie gesehen. Das fand er traurig. Es kam ihm seltsam vor, dass sich zwei Leute am selben Ort aufhalten und völlig verschiedene Dinge sehen konnten.
Der Bus folgte der geschwungenen Küstenlinie der Bucht, ehe er ins Landesinnere abbog und die Steigung hinauffuhr.
»Jetzt sind wir ganz in der Nähe«, sagte sie. »Wollen wir von hier aus laufen?«
Sie standen an der Abbiegung und schauten dem Bus hinterher. Als er weg war, wurde es still. Es roch anders als in der Stadt, irgendwie wilder. Der Regen hatte nachgelassen, verzog sich aber noch nicht. Darüber war er froh. Wenn es zu regnen aufhörte, könnte sie sagen, sie müssten zurückfahren. Sie gingen auf der Straße, kein Bürgersteig, keine Autos. Das Ganze hatte etwas Altmodisches, als wären sie auf einer Zeitreise in die Vergangenheit.
»Schau mal«, sagte sie. »Kiebitze.«
Zwei schwarzweiße Vögel schwebten über dem Meer in der Luft. Er hätte sie für Möwen gehalten, aber es gefiel ihm, dass sie ihre richtigen Namen kannte. Beim Weitergehen sahen sie ihnen zu, wie sie dahinglitten und sich fallenließen. Selbst ganz oben auf den Felsen konnten sie das entfernte Zischen und Tosen der Brandung hören.
»Lust zu schwimmen?«, fragte sie.
Er lachte, hoffte, dass es ein Scherz war. Da unten würden sie sich heute Erfrierungen holen.
»Es gibt einen Weg, der nach unten führt«, sagte sie. »Früher hab ich immer in den Sommerferien hier bei meinen Großeltern gewohnt, und wir sind jeden Tag schwimmen gegangen.«
Sie blieben ein Weilchen stehen, um sich das Wasser anzusehen. Sie standen unter einem Baum, um sie her tropfte der Regen. Weit draußen, unter den Wolken, sah das Meer rabenschwarz aus. Vom Himmel fiel auch ein seltsames Licht, vielleicht wie vor einem Gewitter.
»Erzähl mir von deinen Großeltern«, sagte er.
Was sie ihm daraufhin erzählte, hörte sich nach einem Film an – sonnige Tage und Picknicks, Schlagball- und Kricketspiele am Strand. Toms Name fiel kein einziges Mal, und Mikey fragte sich, ob sie das extra machte oder ob er nie in die Ferien mitgefahren war. Vielleicht waren die Großeltern so vernünftig
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