Ich gegen Osborne
Lehrer zu sprechen, doch wenn man bedachte, wie geheim das alles war, sollte ich am besten mit Shankly persönlich reden.
»Ma’am, es tut mir leid, aber ich muss wirklich Mr. Shankly sprechen. Kommt er heute wirklich nicht wieder, oder haben Sie das nur so gesagt?«
»Er kommt heute wirklich nicht wieder.«
»Darf ich fragen, warum er gegangen ist?«
»Er sagte, er fühle sich unwohl.«
Während ich mit der Sekretärin sprach, hatte sich Lauren schon den stellvertretenden Schulleiter gegriffen. Der mannhafte Mr. Wright war für seine rigide Haltung gegenüber Schülern bekannt. Ich hielt ihn für die Sorte Mann, der zwanghaft auf sein Eigentum fixiert war und einen Großteil seiner Freizeit damit zubrachte, dafür zu sorgen, dass niemand es anfasste.
»Sie müssen sich beruhigen«, sagte er zu Lauren. »Ich habe keine Ahnung, was Sie da reden.«
Es klingelte.
»James Weinbach hat sich nur ausgedacht, was wir [307] angeblich auf dem Ball vorhaben. Es gibt also keinen Grund, den Ball nicht stattfinden zu lassen.«
»Was?«
»Er hat sich alles ausgedacht, weil er verrückt ist. Ich bin in seinem Kurs für Kreatives Schreiben und habe vorhin erlebt, wie er da ausgerastet ist.«
»Sir, ich muss Sie wegen einer anderen dringenden Angelegenheit sprechen«, sagte ich.
»Ich habe zuerst mit ihm geredet, du musst also den Mund halten.«
» Du hältst den Mund. Und ich bin nicht verrückt. Du bist verrückt, reißt anderen Leuten die Klamotten kaputt.«
»Sprich mich nicht an!«
»Hey!«, schrie Mr. Wright. »Jetzt reicht’s. Sie gehen jetzt alle beide in Ihre Kurse, und zwar auf der Stelle.«
»Er –«, sagte Lauren.
»Ich scherze nicht. Sie kommen zu spät zur fünften Stunde. Sie haben keine Passierscheine. Sie können hier nicht einfach hereinplatzen und sich wie zwei Narren aufführen, und von dieser Ball-Geschichte will ich nichts mehr hören. Gehen Sie jetzt in Ihren Unterricht.« Er hielt uns die Tür auf und sah aus, als würde er uns am liebsten schlagen.
Lauren und ich gingen durch den leeren Flur zurück. Ich ging irgendwie komisch wegen meiner Zehen, nahm aber an, dass sie nicht gebrochen waren, denn sonst hätte ich gar nicht gehen können.
»Ich wollte deinen Anzug nicht zerreißen.«
»Das lässt sich bestimmt flicken.«
»Wie meinst du das, wenn du mich ein wandelndes Klischee nennst?«
[308] »Ich wollte damit nur sagen, dass du der Typ Ballkönigin bist, und wenn das ein Film wäre, hättest du genau diese Rolle. Du führst dich gerade so auf, wie es eine Ballkönigin tun würde.«
»Tja, wie’s aussieht, werd ich jetzt nicht Ballkönigin. Zufrieden?«
»Überhaupt nicht.«
»Hast du das aus Rache getan, weil wir deinen Text niedergemacht haben?«
»Ich habe es aus mehreren Gründen getan. Es stimmt aber, das war wohl ein Hauptgrund.«
»So uncool, James.«
Doch das war Teil des Problems. Was ich unter cool verstand, unterschied sich fundamental von allen anderen.
Die ganze Zeit hatte ich Deutschlehrbuch, Notizbuch und Mappe mit mir herumgeschleppt, daher machte ich mich zu meinem Spind auf. Lauren fluchte, als wir uns trennten. Bestimmt würde sie ihren anderen Ballkönigin-Kandidatinnen und befreundeten Cheerleaderinnen erzählen, wie unkooperativ ich war.
Mich würden sie wohl kaum anfeuern.
[309] Englisch IV
13 . 18 Ich konnte nur hoffen, dass Mrs. Hegstrand gerade meine Mitschüler aufforderte, mich nicht zu verstümmeln. Vermutlich würde sie mir verzeihen, dass ich dieses eine Mal zu spät kam. Sie war streng zu den schlechten Schülern und großzügig zu den guten, und ich war ein guter Schüler. Auch wenn es schwerfiel, sich für einen Lieblingslehrer zu entscheiden – sie war meine Lieblingslehrerin. Keiner außerhalb meiner Familie war so um mich bemüht. An Tagen, an denen ich schlecht drauf war, hatte es für sie Vorrang, mich aufzumuntern. Sie griff mich heraus und stellte mir haufenweise Fragen, was unweigerlich dazu führte, dass ich irgendeine selbstironische Bemerkung machte und, ehe ich mich versah, über mich selbst lachte. Dass jemand, der nicht mit mir verwandt war, so von Herzen gut zu mir war, tröstete mich ungemein. Zudem war sie eine Expertin für alles, was mit Vandalia zusammenhing, und hatte Bücher über die Geschichte des Ortes verfasst. Sie mochte unsere Heimatstadt so sehr, dass sie in mir den Wunsch weckte, mich dort auch heimischer zu fühlen. Sie hatte sogar einige Grammatikbücher geschrieben, die bei einem
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