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Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
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sie einander alle so unbeschwert anfassen konnten. Bei ihnen wirkte alles so leicht. Alle fanden alles cool, und jetzt war es an der Zeit, aggressiven, ungeschützten Sex zu haben und anschließend 101   Dalmatiner anzusehen.
    Zum Teufel mit dem Autoverkehr, dachte ich. Es war Zeit aufzubrechen.
    15 . 27   Äußerst vorsichtig, was ich auf diesem Parkplatz immer bin, setzte ich rückwärts aus meiner schrägen Lücke und fuhr langsam die Reihe runter, wendete dann und reihte mich in einer langen Schlange ein, die zur Hauptstraße fuhr. Vor mir waren bestimmt fünfundzwanzig Autos. Die Schlange schlich vorwärts, und ich schaute in den Rückspiegel, um mich zu vergewissern, ob mir rachsüchtige Abschlussballfanatiker folgten, die mich von der Straße abdrängen und kastrieren wollten, doch ich sah nur einen Jungen und ein Mädchen, die unschuldig mit den Köpfen rhythmisch zur Musik nickten.
    Ich hatte immer noch nicht verarbeitet, wie Lavell mich beschützt hatte. Die ganze Szene hatte mich so überrascht, dass ich kaum glauben konnte, dass sie wirklich passiert war. Doch sie hatte sich zugetragen, und wäre ich nicht Zeuge des obszönen Kusses geworden, hätte ich mich sogar gefreut, als ich mich langsam der Hauptstraße näherte, mich weiter und weiter von Osborne entfernte.
    [425]  Ich dachte über meine eigenen Worte nach, darüber, wie sehr ich sie alle lieben wollte. Ich zwang mich, mir Hamilton vorzustellen, wie er auf dem Balkonsims saß. Vermutlich schaute er auf den Golf von Mexiko hinaus. Von meinen Urlaubsreisen als Kind nach Destin wusste ich, dass der Golf mit seinem weißen Sand und den smaragdgrünen Wellen ein herrlichen Anblick war. Und vielleicht ging die Sonne gerade unter und er dachte, das Wasser und die rosa Sonne wären das perfekte letzte Bild seines Lebens, ehe ihm schwarz vor den Augen wurde, doch dann hörte er, wie die Tür aufgeschoben wurde, und als er sich umdrehte, sah er ein zweites, sogar noch schöneres Bild als das erste. Wie könnte ich dem Jungen übelnehmen, dass er sich mit dem zweiten Bild zusammentun wollte? Wie konnte ich wem auch immer übelnehmen, dass er genau das tat, was ich gern getan hätte?
    Man musste die Teenager Vandalias nicht hassen. Vielleicht langweilten sie sich nur, und ihre Langeweile war für ihr Verhalten verantwortlich: für ihre Ruhelosigkeit, ihre Rücksichtslosigkeit, ihr brutales Aufeinanderprallen in verdunkelten Hinterzimmern. Vielleicht waren sie die Klugen, weil sie wussten, dass die Zeit bald schneller vergehen würde, dass unsere Jugend aus uns herausströmen würde wie Bier aus einem Fass und unser aller Leben in vielleicht zehn Jahren nur noch daraus bestand, dass wir ziellos und benommen durch die Straßen gingen, bedrückt, weil wir kein Geld hatten. Vielleicht wussten sie nur dieses eine.
    Die Autoschlange ruckte vorwärts; offenbar hatte die Person, die den Verkehr regelte, eine Menge Wagen aus dem Parkplatz fahren lassen. Ich war kurz vor der Stelle, [426]  wo die Schlange sich mit einer anderen Schlange Autos vereinigte, die aus dem vorderen Parkplatz kamen. Das war manchmal hektisch und hatte Staupotential, weil jemand aus einer der Schlangen nachgeben musste, sonst kam niemand weiter. (Warum die Verantwortlichen den Parkplatz so anlegen ließen, war mir unbegreiflich.) Ich hatte einen Grundsatz, an den ich mich jeden Nachmittag hielt: Lass ein Auto vor, fahr dann weiter. Doch als ich sah, wen ich heute vorlassen würde, dachte ich zum ersten Mal daran, meinem eigenen Grundsatz untreu zu werden.
    Wäre es nach allem, was ich durchgemacht hatte, wirklich eine Sünde, auf diese alte, arachaische Höflichkeitsgeste zu verzichten und Lauren Mellor nicht vorzulassen? Ich wollte nur noch nach Hause. Warum sollte ich zu ihr nett sein? Ja, wahrscheinlich litt sie stumm wie wir alle anderen auch. Ja, wahrscheinlich haben ihre Eltern bei ihr versagt, und selbst sie machte sich Sorgen wegen ihres Aussehens. Aber sie hatte meinen Anzug zerrissen.
    Niemand ließ sie rein. Ich sah, wie sie auf das Lenkrad ihres Mercedes einschlug. Ich kam an die Stelle, wo die beiden Wagenschlangen zusammentrafen, und als ich Laurens Miene sah, packte mich plötzlich ein überwältigendes Mitgefühl – Mitgefühl für sie alle –, und wenn ich dieses Gefühl seziert und genauer untersucht hätte, hätte ich ganz bestimmte, präzise Bilder gefunden: die Schüler in meinem Chemiekurs, die verlegen an ihren Hemdschößen zupften; Chloes Ticks; Brock, wie er an

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