Ich gegen Osborne
»Netter Versuch«, sagte mir ein pausbäckiger, nach Bücherwurm aussehender Typ. »Es war zwar nur kurz, aber toll.«
»Danke.«
Ich neigte den Kopf vor ihm. Dann machten zwei Jungs hämisch »Haha!«, als ich vorbeiging, doch ich ging einfach lächelnd weiter.
Dann hörte ich jemanden sagen: »Das ist dieser Schwanzlutscher«, doch vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Vielleicht würde der Hausmeister mit den Goldzähnen dieses Problem bis morgen gelöst haben.
Ich bog in den Nebenflur ein, der mich zu meinem Ausgang brachte. Durch die Glastür am Ende des kurzen Flurs sah ich sofort, dass es draußen genauso schön war wie schon am Morgen. Es war ein wirklich perfekter Frühlingstag, doch mir kam alles wie November vor.
Als ich Richtung Tür ging, schien mein Herz so heftig [413] zu wummern wie die Autolautsprecher meiner Mitschüler. Sobald ich meinen Wagen sehen konnte, würde ich wahrscheinlich mein Schicksal kennen. Wenn ich außer wegen meines Anzugs für etwas bekannt war, dann wegen meines langen, schwarzen Lincoln; er war nicht schwer zu finden.
Ich kam zur Tür. Als ich meinen Wagen sah, blieb ich stehen. Ich beschloss, erst rauszugehen, wenn ich Brock und Jeff entdeckt hätte, denn nicht die Mitglieder der Van-Van-Mafia hatten sich mit grimmigen Mienen um mein Auto versammelt, sondern vielmehr die Jungs, denen die Van-Van-Mafia und alle anderen weißen Vorstadtbewohner auf der Osborne High jede Minute ihrer Schulzeit nacheiferten. Auf mich warteten nicht weniger als fünf echte Gangstas.
Sie waren der Inbegriff von taffen Teenagern, ultramaskuline, physisch bedrohliche Schlägertypen, deren Körpersprache leicht zu deuten war: Sie wollten mir weh tun. Ich fragte mich, warum. Hatten Sie nichts Besseres zu tun, als den Ausfall eines Highschool-Abschlussballs zu rächen? Doch es war nur konsequent; die meisten meiner Mitschüler hielten die Gangstas für den Inbegriff von cool – so cool, dass wahrscheinlich sogar Tate Baker davon träumte, von ihnen akzeptiert zu werden. Wen also sollte man eher bestrafen als den Jungen, der die uncoolste Tat in der Geschichte dieser Schule begangen hatte?
Bisher hatte ich sie selten gesehen. Den einen hatte ich wenige Stunden zuvor in der Cafeteria gesehen (er hatte mich einmal zu meinem Wagen beglückwünscht). Ein anderer war angeblich Drogendealer, und man munkelte, er komme mit einer Schusswaffe in die Schule. Alle fünf [414] waren ähnlich gekleidet: hängende Baggy-Jeans, übergroße T-Shirts oder Trikots und Goldketten um den Hals. Der angebliche Drogendealer zog sein Hemd aus und warf es auf den Kofferraum meines Wagens. Ich hielt nach einer Knarre Ausschau, die aus dem Bund seiner freiliegenden Unterhose ragte, sah aber nur die Umrisse seiner Bauchmuskeln.
Ich suchte den Parkplatz nach Brock und Jeff ab, sah sie aber nicht. Grüppchen von Schaulustigen umstanden ihre Autos, viele Köpfe waren auf meinen Lincoln gerichtet. Ich entdeckte Lavell Pritchard, der aus einem beigen Siebziger-Jahre-Auto stieg und auf die Gangstas zuging. Ehe ich herausfinden konnte, was er getan haben mochte oder auch nicht, hörte ich hinter mir Schritte.
Drei Mädchen näherten sich der Hintertür, alle sahen so jung aus, dass sie nur Neuntklässlerinnen sein konnten. Gedankenlos hielt ich ihnen die Tür auf und registrierte nicht einmal, ob sie sich bei mir bedankten oder nicht. Ich war abgelenkt, weil in genau diesem Moment jemand schrie: »Das ist er!«
15 . 20 Nachdem ich den Mädchen die Tür aufgehalten hatte, trat ich ins Freie. Einen Moment lang dachte ich daran, wieder ins Schulgebäude zu gehen, konnte aber nicht. Mir war wichtig, was andere von mir dachten, darin war ich genau wie jeder andere Teenager.
Hocherhobenen Hauptes ließ ich das braune Backsteingebäude hinter mir und begab mich Richtung Auto. Ich entschied mich für einen selbstbewussten Schritt, bei dem meine Zehen schmerzten. In der warmen Brise um mich [415] verschmolzen die Flüche, die Spott- und Buhrufe zu einem einzigen Geräusch. Ich bemühte mich, unbekümmert zu wirken, doch in Wahrheit wandte ich einen beträchtlichen Teil meiner Energie dafür auf, zu verhindern, dass sich meine Blase entlang meines Hosenbeins entleerte.
Lavell kam jetzt auf mich zu. Ich versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu deuten, doch der war wie immer: starr, emotionslos. Wir trafen uns in der Parkplatzmitte, zwischen zwei Pick-up-Trucks. »Hey, Lavell«, sagte ich zu ihm, auch so wie
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