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Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
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was aber gegen die Schulvorschriften verstößt. Dann hat er damit gedroht, die Schule zu verklagen, weshalb Shankly schließlich beschloss, es sei am einfachsten, die ganze Sache abzublasen.«
    Mr.   Hulette lachte. »Das ist köstlich.«
    Welcher Narrengott zog hier die Fäden? Diese Wendung war schlicht ein Wunder, und nach meinem schrecklichen Tag überlegte ich nicht groß, sondern sagte einfach: »So was hab ich auch gehört.«
    »Seit wann ist Patrick Pippin schwul?«, fragte Vivian.
    »Ist er nicht«, sagte das Maskottchen. »Der Typ will nur Aufmerksamkeit. Das ist ja das Blöde an der ganzen Geschichte.«
    »Der wird nach der Schule auf dem Parkplatz verprügelt«, sagte das Mädchen aus dem Chemiekurs. »Da werden bestimmt zehn Typen auf ihn warten.«
    »Oh«, sagte ich. »Das hab ich nicht gehört.«
    »Die Van-Van-Mafia und ein paar andere wissen Bescheid.«
    Ich lockerte meine Krawatte, um mehr Luft zu bekommen. Mein Gesicht fühlte sich plötzlich heiß und aufgedunsen an.
    [271]  »Hey, James«, sagte die Läuferin, die schräg versetzt hinter mir saß. Sie beugte sich lang über ihr Pult, damit das Gesprochene unter uns blieb, und sagte: »Äh, ich wollte nichts sagen, aber vor dem Kurs hörte ich Stephanie Schnuck sagen, du hättest dafür gesorgt, dass der Ball nicht stattfindet.«
    »Oh. Klar. Ich hab nur Spaß gemacht, als ich das zu ihr sagte. Die meisten meiner Scherze sind satirisch gemeint, und sie ist zu doof, um das Prinzip von Satire zu verstehen.«
    »Ich dachte mir schon, dass es nicht stimmt. Man kann ihr ohnehin kein Wort glauben.«
    »Stimmt.«
    Erstaunlicherweise hatte es den Anschein, als käme ich doch noch unbeschadet aus der Sache raus. Allerdings wäre es eindeutig das Richtige, die Wahrheit zu gestehen. Dann lachte ich in mich hinein und dachte, wie absurd es war, in einer Institution wie Osborne High überhaupt in Kategorien wie richtig oder falsch zu denken. Das Konzept war so altmodisch wie Telegramme oder Filzhüte, und ich war es wirklich leid, das Richtige zu tun, was keiner sonst machte, niemals.
    »Ruhe!«, rief Mr.   Hulette auf Deutsch. »Prüfungszeit!«
    12 . 26   Als Mr.   Hulette den Test verteilte, kehrte langsam Ruhe ein. Wegen des Tests war ich nicht übermäßig besorgt, weil ich sowohl im Laufe des Vormittags wie auch am Vorabend gelernt und bei den meisten anderen Prüfungen in diesem Kurs gut abgeschnitten hatte. Obwohl es mir schwerfiel, ganze deutsche Sätze zu sprechen, mochte ich [272]  die Sprache. Beide Seiten meiner Familie hatten deutsche Wurzeln, und weil mein Stammbaum so langsam gewachsen war, hatte ich mich von der Alten Welt nicht so weit entfernt wie die meisten meiner Mitschüler. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich meinen Vorfahren umso näherkommen würde, je besser mein Deutsch wurde.
    »Wenn Sie fertig sind, legen Sie den Test auf meinen Schreibtisch, und lesen Sie Kapitel zehn. Oder auch nicht. Hauptsache, es herrscht Ruhe.«
    Seltsamerweise hatte ich nichts gegen Tests. Mir gefielen die dafür nötige Ruhe und das eigenständige Arbeiten. Bei dem ersten Teil des Tests ging es um den Wortschatz. Ich hatte mir alle möglichen Gedächtnisstützen überlegt. Beispielsweise lautete die erste Frage: cozy = ___________. Ich musste mir nur zwei schwule (gay) stumme (mute) Männer vorstellen, die es sich gemütlich machten und sich gegenseitig leckten (lick), schon dachte ich: gay-mute-lick, worauf mir prompt das Wort gemütlich einfiel. Ich stellte mir Pippin und seinen Begleiter vor, die einander am Ballabend schweigend ableckten. Ich nahm mir die übrigen Adjektive vor, von denen ich viele weitaus angenehmer fand als ihre englischen Entsprechungen. Sauber war viel emotionsgeladener als »clean«. Schmutzig klang schmutziger als »dirty«. Deutsch war zwar nicht die melodischste aller Sprachen, dennoch fand ich sie attraktiv, weil die harschen Laute den Wörtern Energie verliehen, und meine Wörter brauchten Energie, weil ich nie zu etwas so Niedrigem wie Gewalt greifen wollte, um mich zu verteidigen – ein weiterer Grund, weshalb Pippin als Opfer geeigneter war als ich. Ich hatte mich noch nie geprügelt, weil mich nie jemand dazu [273]  aufgefordert hatte und weil ich das für eine der am wenigsten intelligenten Dinge hielt, die ein Mensch tun konnte. Außerdem hatte ich an diesem Tag schon genug gelitten. Pippin würde als Sündenbock herhalten müssen. Er hätte mich besser behandeln sollen.
    Ich eilte innerlich gerade durch

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