Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
Vom Netzwerk:
Ihnen? Wo sind Sie auf Ihrer Leseliste angelangt?«
    »Bei Unter dem Vulkan. «
    [264]  »Das habe ich gelesen. Armer Malcolm Lowry. Hat sich totgesoffen.« Auch das sagte er mit einem Lächeln.
    Weil das Jahrhundert sich seinem Ende zuneigte, wurden immer häufiger »Best of«-Listen veröffentlicht. Im Vorjahr hatte der Verlag Modern Library eine Liste der »100 bedeutendsten Romane des 20.   Jahrhunderts« herausgebracht. In diesem Winter hatte ich mit Nummer eins begonnen und arbeitete mich auf der Liste nach unten vor. Meine bisherigen Lieblingsromane waren Der große Gatsby und Lolita, ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Anscheinend hatte Mr.   Hulette jedes einzelne Buch auf der Liste gelesen. Einmal hatten wir scherzhaft bemerkt, dass uns Bücher lieber waren als Menschen. Wir ähnelten uns sehr – oder vielleicht versuchte ich unbewusst, wie er zu sein. Ich war immer auf der Suche nach einem guten Vorbild.
    Uns beide lenkte ein exzentrisches Mädchen ab, das selbstgemachte Klamotten trug. Sie trat an die Tafel und schrieb hinter Mr.   Hulette die Wörter »Vivian Volino« an die Tafel.
    »Wer ist das?«, fragte er.
    »Das ist mein neuer Name. An alle«, sagte sie an den Kurs gewandt, »ich wäre euch dankbar, wenn ihr mich von jetzt an mit diesem Namen anreden würdet.« Sie wies auf die Tafel. »Auf Elizabeth werde ich nicht mehr reagieren.«
    »Alles klar, Elizabeth«, sagte ein Witzbold hinter mir.
    »Es ist mir ernst. Elizabeth Linderman ist tot. Ich habe meinen Namen nie gemocht, und ich muss nicht Elizabeth Linderman sein. Also ändere ich ihn so, wie ich es will.«
    »Sie können ihn ändern, sooft Sie wollen«, sagte Mr.   Hulette. »Ihr Leben wird dadurch nicht weniger schwierig.«
    [265]  Sogar das Mädchen musste lachen, als er diese tristen Aussichten lächelnd vortrug. Mr.   Hulette war der zynischste Mensch, den ich kannte, allerdings vermutete ich, dass diese Haltung nur Fassade war; er würde nie lange genug ernst bleiben, um es zuzugeben, aber ihm waren seine Schüler wichtig, die ihm oft Fragen stellten, nur um zu hören, was er sagte.
    »Hey, Mr.   Hulette, was halten Sie davon, dass der Ball abgesagt wurde?«
    »Ich finde es großartig.«
    »Bedauern Sie uns Zwölftklässler nicht, weil wir keinen Abschlussball haben?«
    »Eigentlich nicht. Für die meisten von euch ist doch jeder Tag ein Ball.«
    Dabei sah er mich an. Er sah mich oft an, wenn er sich über andere Schüler lustig machte, und gab mir das Gefühl, dass es zwischen uns einen besonderen Draht gab; allerdings hatte ich mit anderen Schülern gesprochen, denen es genauso ging.
    »Aber blöd ist, dass es unser letzter gemeinsamer Abend werden sollte. Sowas wie unser letzter Abend als Gruppe. Und der wurde uns genommen.« Mir wurde übel.
    »Was ist mit der Abschlussfeier?«, fragte Mr.   Hulette. »Ist das nicht euer letzter gemeinsamer Abend?«
    »Die zählt nicht.«
    »Waren Sie auf Ihrem eigenen Abschlussball?«, fragte Amanda.
    »Nein. Ich habe aber dem Ballkomitee angehört und geholfen, den Ballsaal zu schmücken. Oder wenigstens so getan.«
    [266]  »Heißt das, Sie haben geholfen, den Ball durchzuführen, ihn aber nicht genossen?«
    »Ich hätte ihn nicht genossen.«
    »Warum nicht?«
    »Normalerweise bin ich kein Genießer. – Das nehme ich zurück. Ich gehe gern spazieren.«
    »Gibt es in Deutschland Abschlussbälle?«, fragte das Mädchen, das sich in Chemie den Rücken hatte massieren lassen.
    »Wer aufs Gymnasium geht, hat etwas Vergleichbares, das aber nicht das Leben der Beteiligten so dominiert wie bei Ihnen hier. Da wird der Schulabschluss gefeiert, der Abitur heißt, und die Lehrer und Eltern sind auch dabei.«
    »Wow«, sagte ich. »Echt?«
    »Das wär ätzend«, sagte Amanda.
    »Mr.   Hulette«, sagte das Maskottchen, »reden Sie für uns mit Mr.   Shankly über den Ball?«
    »Warum sollte ich das tun?«
    »Vielleicht hört er auf Sie und ändert seine Meinung.«
    »Ich beschränke meinen Kontakt zu ihm auf das Nötigste.«
    »Was sollen wir denn machen?«, fragte Amanda.
    »Ich weiß nicht, was Sie machen sollen«, sagte Mr.   Hulette. »Vielleicht sollten Sie jetzt Ihrer Schularbeit ein wenig Gehirnschmalz widmen.«
    12 . 23   Ich drehte mich um und betrachtete das Paar, das über mich geredet hatte. Warum sagten die zwei nichts zu mir? Seit wann übte irgendwer auf dieser Schule Zurückhaltung?
    [267]  Warum musste sie mir schreiben? Warum sollte sie sich die Mühe machen, wenn sie mich nicht mochte?

Weitere Kostenlose Bücher