Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
Vom Netzwerk:
ausbreiteten. Vielleicht würde Pippin verschont bleiben, solange beide Gerüchte kursierten. Müssten seine [282]  Angreifer nicht absolut sicher sein, dass Pippin schuldig war? Andererseits waren die Mitglieder der Van-Van-Mafia nicht gerade für ihren Gerechtigkeitssinn oder ihr Urteilsvermögen bekannt. (Sie waren dafür bekannt, dass sie Ritalin einwarfen.)
    Ich wurde unsanft in den Kursraum zurückbefördert, als Mr.   Hulette auf seine Tischplatte schlug und sagte: »Ruhe. Ordnung muss sein .« Das galt einigen Schülern auf den billigen Plätzen, die permanent quatschten. Er grinste spöttisch, dann widmete er sich wieder dem Konjunktiv.
    Meine Blicke wanderten, es gab aber nichts, worauf sie verweilen konnten; der Raum war völlig schmucklos. Das unterschied ihn von den meisten anderen Kursräumen, die gar nicht so viel anders aussahen als die Klassenzimmer einer Grundschule. In einem typischen Kursraum der Osborne-Highschool hingen Kätzchenposter mit motivierenden Sprüchen und Pinnwände aus Kork voller Bilder aus den letzten Ferien. An der Wand über der Tafel hingen oft ausgeschnittene Buchstaben, die zusammen Sprüche wie »Der Erfolg von morgen beginnt heute« ergaben.
    »Ich hab ’ne Frage an Sie, Mr.   H.«, sagte ein Freund des Schulmaskottchens. »Wie sagt man ›Penis‹ auf Deutsch?«
    »Schlagen Sie es selbst nach.«
    »Was hat er gesagt? Wie sagt …«
    » Wie sagt man das lautet die entsprechende Frage auf Deutsch«, sagte Mr.   Hulette. »Das sollten Sie noch aus Deutsch I wissen.«
    »Sie wissen doch, wenn man auf Englisch das Wort man benutzt«, sagte Vivian, »wenn jemand sagt: wie sagt man das, und einen die Leute daraufhin komisch ansehen?«
    [283]  »Ja.«
    »Ist das auf Deutsch nicht auch so?«
    »Nein, ist es nicht. Da wird ständig man gesagt. Ich weiß auch nicht, warum. Vielleicht halten sie es nicht für etwas Negatives, intelligent zu klingen. Sie wollen einen klugen Eindruck machen, während wir uns hier große Mühe geben, dumm zu wirken, beispielsweise wenn wir fragen, wie man Penis übersetzt.«
    Schallendes Gelächter, dann ging der Unterricht weiter. Ich schaute aus dem Fenster und sah die Rückseiten von Häusern in der benachbarten Siedlung. Auf einer Seite der Schule war ein kleines Einkaufszentrum mit einem Blockbuster-Videoverleih, Papa John’s Pizza und einem Fitnesscenter, auf der anderen Seite stand die Siedlung Sullivan Acres. Bestimmt war es für deren Bewohner deprimierend, wenn sie aus ihren rückwärtigen Fenstern schauten, diese Schule sahen und sich fragten, welche Greueltaten in ihrem Inneren vorgehen mochten. Ich fragte mich, in was für einem Haus Pippin leben mochte und wie es sich für ihn anfühlen würde, wenn er es nach der Schule betrat, wohl wissend, dass er die Prellungen unmöglich vor seiner Mutter verbergen konnte – oder, schlimmer noch, vor seinem Vater.
    So ’n Mist, dachte ich. Es führte kein Weg daran vorbei.
    Ich würde die Wahrheit sagen müssen.
    12 . 48    »Ich würde.«
    »Ich würde.«
    »Du würdest.«
    »Du würdest.«
    [284]  Wir wiederholten die von Mr.   Hulette vorgesagten konjugierten Formen, und gelegentlich machte er Vorschläge.
    »Damit der Umlaut richtig klingt, stellt euch vor, dass euch jemand einen Kugelschreiber in den Arsch steckt, während ihr ihn aussprecht.«
    Während ich mit den anderen Kursteilnehmern die Wörter nachsprach, suchten mich in beängstigendem Tempo unerwünschte Gedanken heim: Sobald die anderen wüssten, dass ich es war und ich allein, müsste ich mich für so viel verantworten, dass sie mich wahrscheinlich mit den Riemen ihrer Rucksäcke strangulieren würden. Sie würden mit meinem Schädel Freistöße üben. Sie würden mich den Fahnenmast hochjagen. Sie würden meine Finger in Bleistiftanspitzer stecken. Sie würden mich anzünden und rauchen.
    »Wir dürften.«
    »Wir dürften.«
    »Ihr dürftet.«
    »Ihr dürftet.«
    Sehr wahrscheinlich würde man mich in der ganzen Schule jagen, und man könnte mich leicht finden, weil ich »der Typ im Anzug« war. Ich kannte ein paar Verstecke: eine Nische im Musikzimmer, ein Requisitenschrank hinter der Bühne in der Aula. Der Theaterpädagoge war in der zehnten Klasse mein Soziologielehrer gewesen, und ich verehrte ihn ungemein; bestimmt würde er mir erlauben, mich zwischen seinen Requisiten zu verstecken. Oder ich hätte einfach Jackett und Krawatte ausziehen und mein Hemd aus der Hose ziehen können. Nein, beschloss ich. Diese

Weitere Kostenlose Bücher