Ich geh jetzt in dein Karma rein
doch da hatte sie schon aufgelegt.
♈ ☿ 10. Kapitel ♊ ♋
36 Karten für ein Halleluja
Die Grenzen zwischen Religion und Esoterik sind fließend. Findet ein selbst ernannter Guru für seine Lehre genügend Jünger, kann durchaus eine neue Religion entstehen. Der einzige Unterschied zwischen Esoterik und Religion ist meiner Meinung nach einfach nur der, dass religiöse Lehren über die größere Anzahl Gläubiger verfügen. Doch die Gurus sind auf dem Vormarsch und bahnen sich dank des Internets beharrlich ihren Weg, verfassen im großen Umfang ihre fragwürdigen Theorien und Erleuchtungen, die sie auf Großveranstaltungen am Wochenende, als Seminar oder in Buchform an ihre Jünger bringen. Nichts gibt es, was nicht behauptet und in einem abenteuerlichen Eintopf zusammengewürfelt werden könnte und keine Eso-Freunde findet.
Woher kommt dieser Trend? Woher die Bereitwilligkeit der Menschen, jede noch so absurde Theorie zu glauben? Michael Fuß, Leiter an der Päpstlichen Universität Angelicum in Rom für den noch relativ jungen Lehrstuhl für nichtkonventionelle Religionen und Spiritualitätsformen, hat dafür eine einfache Erklärung: »Seit dem Bruch der 68er-Generation sind die Menschen auf der Suche nach einer neuen Identität. Statt Religiosität ist heute vor allem Ausgeglichenheit gefragt: Ruhe, Natur und Meditation. Die Esoterik reagiert auf diese Bedürfnisse und findet deshalb so starken Zuspruch. Sie entwickelt sich zu einer neuen Weltreligion.« 1
Mit der Gründung der Astro-Hotlines hat sich ein weiterer vielversprechender Markt in der wunderbaren Esoterikwelt etabliert, den sich ein jeder ganz nach Belieben völlig frei gestalten kann. Aus den Puzzleteilchen eingebildeter oder tatsächlicher Lehren basteln sich Astro-Anhänger ihre individuelle Weltanschauung zusammen, ihr ganz persönliches Paralleluniversum, dessen Grundpfeiler das »Schwingen« und das »Fließen« sind. Die Astro-Berater bestätigen den spirituellen Dauerbekifften gegen ordentlich Bares jederzeit gerne die Fortschritte auf dem langen Weg dorthin
Dass sich Religiosität und Esoterik keineswegs in die Quere kommen müssen, beweisen die folgenden Telefonate auf der Astro-Line.
Anrufer: »Ja, hallo, hier ist der Cornelius. Legst du Karten?«
Ich: »Ja, ich lege Lenormand-Karten. Steht übrigens auch alles in meinem Profil.«
Warum lesen die Leute eigentlich nie mein Profil vor ihrem Anruf?
Anrufer: »Dann ist ja gut. Ich möchte wissen, ob ich mit der Viktoria zusammenkomme.«
Ich: »In den Karten liegt, dass ihr zusammenkommt. Ihr wart schon mal liiert, oder?«
Anrufer: »Genau. Wie lange dauert das noch?«
Ich: »Als Zeitkarte liegt die Fünf dabei.«
Anrufer: »Okay. Danke dir. Tschüss.«
Ich: »Tschüss.«
Zwei Tage später.
Anrufer: »Hallo, hier Cornelius. Du legst doch Karten?«
Jawohl, immer noch!
Ich: »Ja.«
Anrufer: »Schau doch mal, ob ich mit meiner Herzensdame zusammenkomme.«
Warum fragte er mich nach zwei Tagen genau das Gleiche? Dafür legte ich jetzt nicht noch einmal ein Kartenbild.
Ich: »Ihr kommt wieder zusammen.«
Anrufer: »Das ging jetzt aber schnell.«
Ich: »Bin eben von der schnellen Truppe.«
Anrufer: »Aha … Und wann wird das passieren?«
Ich überlegte kurz, welche Zeitkarte er beim letzten Mal hatte.
Ich: »Der Zeitraum wird mir mit einer Fünf angegeben.«
Anrufer: »Und was heißt das ganz genau?«
Ich: »Das bedeutet, dass das Ereignis in fünf Stunden, fünf Tagen, fünf Wochen, fünf Monaten oder fünf Jahren eintreffen kann.«
Schweigen. Im Hintergrund hörte ich Tastenklackern.
Ich: »Hallo?«
Anrufer: »Ja, Moment noch. Ich bin nicht so schnell.«
Ich: »Schreibst du mit?«
Anrufer: »Mache ich immer.«
Ich: »Warum? Kannst du dir die Aussagen nicht merken?«
Anrufer: »Nee, ist zu viel.«
»Wie viele Kartenleger rufst du denn so an?«, lag es mir auf der Zunge.
Ich: »Aha. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«
Anrufer: »Wie wird denn meine Abschlussarbeit?«
Ich: »Du studierst?«
Anrufer: »Ja, im letzten Semester. Also, wie wird die Abschlussarbeit?«
Ich: »Moment bitte.«
Jetzt legte ich doch ein neues Kartenbild.
Ich: »Sieht sehr gut aus. Du wirst bestehen.«
Anrufer: »Super!«
Ich: »Was studierst du denn?«
Anrufer: »Theologie.«
Ich: »Und dann rufst du bei einer Kartenlegerin an?«
Anrufer: »Du, ich muss jetzt Schluss machen. Wird sonst zu teuer. Tschüss.«
Weg war er.
Acht Tage später.
Anrufer: »Cornelius hier.
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