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Ich gestehe

Ich gestehe

Titel: Ich gestehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eine Welle des Urmeeres und überspülte die Ufer, und die Winde rasten über das Meer, die Sonne schleuderte brennende Pfeile, die Sterne fielen herab, und die Erde barst auf und schleuderte das Magma bis in die Wolken. Die Gewalt der Schöpfung begann von neuem. Und es gab niemand, der ihr widerstand.
    Im Abschied vom Märchen war ich am glücklichsten.

3
    Etwas außerhalb Avignons, südlich der Durance, liegt der kleine Ort Caissargues an der Bahnlinie Avignon - Orgon. Es ist eines der südfranzösischen Dörfer voller Weinhügel, verträumter Gassen, verklungener Troubadourromantik und lebenslustiger Mädchen, die in den Gärten arbeiten oder nach Avignon und Arles in die großen Weinkellereien und Obstkochereien fahren. Um die alte Kirche gruppiert sich das Dorf. Es zieht sich in die Hügel hinein, mitten in die Weinfelder. Es ist, als sei ein jedes Haus ein kleines Weingut, und wenn man in eines dieser Bauernhäuser tritt, erwartet man große Weinfässer und den Geruch der gekelterten Trauben.
    In diesem verträumten, zwischen Mittelalter und Neuzeit lebenden Caissargues, wohnten meine Eltern. Mein Vater hatte dort eine gutgehende Landarztpraxis und einen schönen Besitz mit einem Weinberg. Er lebte seit 40 Jahren sehr geehrt, mit seinem Lebensschicksal zufrieden, zwischen den Erinnerungen an fahrende Ritter der Troubadourzeit und schweren Luxuslimousinen, mit denen die reichen Weingutbesitzer von Cavaillon zu ihm in das abgeschiedene Dorf kamen.
    Gaston und ich fuhren bis Avignon auf der großen D-Zug-Strecke, um dann umzusteigen in die Kleinbahn, die nach Caissargues führt. Ich war gespannt, was Vater und Mutter sagen würden, wenn ich ihnen Gaston vorstellte, von dem sie keine Ahnung hatten und von dem ich auch nichts aus Paris geschrieben hatte, und zwar aus Angst, Brigit hätte irgendwie in den Besitz eines dieser Schreiben kommen können. Mutter – so malte ich es mir aus, während wir durch die schon herbstliche Landschaft und die Hügel gemächlich dahinrollten – würde wenig sagen. Sie war eine stille, gütige Frau, die alle Entwicklungen des Lebens als von Gott gegeben ansah und sie deshalb mit dem immer freudigen Herzen ertrug – ob sie nun schlecht oder angenehm waren. Vater dagegen galt in seinen jungen Jahren als ein Feuerkopf, der mit dem Schädel durch die Wände ging und einmal sogar bei seinem Assistentenpraktikum im Krankenhaus von Arles dem Oberarzt das Glas mit den Thermometern ins Gesicht warf, weil dieser behauptete, mein Vater habe die Temperatur falsch abgelesen.
    Vater, das war mir klar, würde Gaston sehr kritisch betrachten, denn der Umstand, daß Gaston als Oberarzt an einer großen Pariser Klinik arbeitete, war für ihn noch lange nicht ein Ausweis für die Lauterkeit eines Mannes. Ich fürchtete Vaters prüfenden Blick nicht. Auch er würde erkennen, daß Gaston Ralbais ein Schweigersohn war, wie er ihn sich nicht besser wünschen konnte.
    Je näher wir Caissargues kamen, um so unruhiger wurde ich. Nicht, weil ich vielleicht doch ein wenig Angst hatte (welche Frau aber gibt das zu?), sondern weil mich ein beklemmendes Gefühl erfaßte, eine Ahnung von etwas Unerhörtem, von einer Gefahr, der wir entgegenliefen. Ich habe manchmal solche merkwürdigen Ahnungen gehabt. Es ist mir dann, als lege eine unbekannte Hand einen eisernen Reifen um mein Herz, so daß es sich beim Schlag nicht mehr ausdehnen kann und versucht, den Ring zu sprengen. Immer hatte sich diese Ahnung bestätigt, immer war etwas gekommen, was unangenehm gewesen war und große Nachwirkungen hinterließ. Was es jetzt, gerade bei meinen Eltern, in dem einsamen und idyllischen Caissargues sein konnte, wußte ich nicht. Aber das Gefühl war da, und es nahm mich voll und ganz in seinen Bann.
    Vor der letzten Station vor Caissargues ergriff ich Gastons Hand.
    »Sollen wir umkehren, Gaston?« fragte ich.
    »Umkehren? Warum?« Er sah mich erstaunt an und beugte sich vor. »Du siehst so blaß aus, Liebes.« Er lachte leise. »Ich glaube, du hast Angst vor deinen Eltern! Eigentlich sollte ich diese Angst haben!«
    »Ich weiß nicht, was es ist, aber ich glaube, es ist besser, wir steigen gleich in Breuillieuc aus und fahren über Avignon nach Paris zurück. Von dort aus werden wir den Eltern alles schreiben, ja?«
    Ich wollte mich erheben und die Koffer aus dem Gepäcknetz holen, aber Gaston hielt mich fest. Er stand neben mir und drückte mich in den Polstersitz zurück, den hier nur die Wagen der Ersten Klasse

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