Ich gestehe
ja unglaublich!« Ich wischte mir mit der Hand über die Augen. Es war, als hörte ich ein Märchen. Das Telegramm war doch von mir. Ich hatte Brigit weggelockt, in die Fremde geschickt, kaltgestellt, und statt dessen kam sie zurück mit 100.000 Francs und hatte ihr Glück gemacht – durch mich, durch meine Gemeinheit, durch meine Niederträchtigkeit. Gab es wirklich einen Gott der ausgleichenden Gerechtigkeit?
»Und was willst du jetzt tun?« stieß ich mühsam hervor. Meine Kehle war zugeschnürt. Das alles war zuviel für mich. Ich hatte nicht mehr die Kraft, nach den Schrecken in Juan les Pins auch noch dieses zu ertragen.
»Ich werde jetzt mein eigenes Leben leben, und es wird keine große Schwester mehr geben, die mir einen Mann als Ekel schildert, mit dem sie dann aber selbst an die Riviera fährt – statt zu einem Medizinerkongreß nach Lyon.«
Gastons Gesicht wurde ernst. Er sah mich an, und in seine Augen trat Erstaunen.
»Du wolltest nach Lyon?«
»Ich habe es nur so gesagt, um Brigit irre zu führen!«
»In Lyon hatte John Parkett auch eine Villa«, sagte Gaston leise. »Wußtest du das damals schon?«
»Bitte, werde nicht albern«, rief ich aufgebracht. »Ich habe Parkett erst in Juan kennengelernt.«
»Wer ist Parkett?« fragte Brigit.
»Ein Bohnerwachs!« schrie ich unbeherrscht.
»Ein Mann«, sagte Gaston.
Brigit lachte. »Wenn es ein Mann ist, dann kennt ihn auch Gisèle«, sagte sie gehässig.
In diesem Augenblick der Unachtsamkeit Gastons schlug ich zu. Es klatschte laut, als ich Brigits Gesicht traf. Sie taumelte zurück und hielt sich an der Sessellehne fest.
»Jetzt ist mir wohler!« sagte ich eisig. Mir war in diesem Augenblick alles gleichgültig, meine Entgleisung, die Wirkung auf Gaston, mein bestimmt nicht schönes Aussehen, meine vor Wut rauhe Stimme. »Das hat mir und dir die ganze Zeit gefehlt! Und das eine sage ich dir: Von heute ab kreuzt du gemeines Luder nicht mehr meinen Weg! Nie mehr! Ich werfe dich vor die Tür, wenn du uns besuchen kommst!«
Brigit nickte Gaston zu. Sie lächelte mühsam und hielt sich mit einer kindlichen Geste noch immer die Wange fest, die mein Schlag getroffen hatte. »Sage ich nicht – sie ist herrschsüchtig?« sagte sie leise.
Gaston antwortete nichts, aber er trat auf sie zu, nahm sie am Arm und führte sie aus dem dunklen Zimmer hinaus. Mich ließ er allein am Kamin stehen … Gaston ließ mich allein! Er ließ mich stehen … für Brigit … für dieses blonde Aas … für diese Unschuld mit dem verdorbenen Herzen … Er ließ mich in der Dunkelheit zurück.
Von diesem Augenblick an wußte ich, daß ich das große Spiel verloren hatte. Das Vabanque war vertan. Die Kugel des Lebensroulette hatte anders ausgerollt, als ich gesetzt hatte.
Ich hatte verloren. Es war vorbei. Keine Illusionen mehr, Gisèle, keine Hoffnungen, keine Träume mehr, keine Phantastereien.
Ich hörte nicht mehr die Tür, die Gaston schloß, als er Brigit hinausführte – ich war zu Boden gefallen und lag neben dem flammenden Kamin auf dem Teppich.
Noch heute bedaure ich es, daß mich die Ohnmacht nicht in die Flammen fallen ließ. Es wäre alles leichter gewesen.
Am nächsten Morgen war alles so, als sei in der voraufgegangenen Nacht nichts geschehen.
Wir saßen alle im Speisezimmer um den großen runden Tisch, tranken Kaffee, aßen die frischen Brötchen mit eigenem Honig, Marmelade, einem Ei und leicht gesalzener Landbutter. Vater erzählte von seinen Patienten und bat Gaston, ihn doch gleich in die Sprechstunde zu begleiten. Es sei etwas anderes, Landarzt zu sein als ein Kliniker in Paris. Hier seien die Fälle zwar nicht sensationell, aber durch die Mentalität der Bauern gewinne ein und derselbe Fall in drei Familien dreimal ein anderes Gesicht.
»Wir heilen zu 60 % psychologisch«, sagte Vater. »30 % entfallen auf die Medikamente, 5 % müssen operiert werden, 4 % sind unheilbar und 1 % ist schon tot, wenn man bei ihnen ankommt. Bei Ihnen wird es wohl gerade umgekehrt sein!«
Die medizinischen Statistiken, die Gaston nun aus seinem blendenden Gedächtnis zum besten gab, interessierten mich nicht. Ich sah zu Brigit hinüber, die blond, frisch, jung und überstrahlt von einer inneren Freude am Tisch saß. Ihr gegenüber wirkte ich fahl, verbraucht, unausgeschlafen, gealtert, und auch das Make-up überdeckte nicht das Grau meiner Haut und die Müdigkeit meiner Lider.
Ich hatte kaum geschlafen. In dieser Nacht hatte ich den Plan gefaßt, Brigit zu
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