Ich glaub, mich tritt ein Kind: Bekenntnisse einer Schwangeren und schonungslose Wahrheiten einer dreifachen Mutter (German Edition)
angekommen sagtest du: »Der Hausflur sieht auch so anders aus als letztes Mal.«
Das wäre ja auch alles nicht schlimm, wenn man sich nicht selbst so bescheuert dabei vorkommen würde. Ich traue mich auch kaum, zuzugeben, wann das wieder besser wird. Denn was deine Arzthelferin von der Stilldemenz erzählt … dagegen ist das bisschen Schwangerschaftsschwachsinn tatsächlich noch ein Witz! Stillen macht nämlich nicht nur durstig (immer eine Flasche Wasser für Mutti bereithalten!), sondern auch ganz schön meschugge. Weil Stillen eben auch echt eine körperliche Herausforderung darstellt.
Solange du dich in deinen eigenen vier Wänden aufhältst, ist das auch alles okay. Aber irgendwann nach der Geburt sollst du dann ein Gespräch mit deinem Chef führen. Du willst gut aussehen! Scheiße. Und ganz die Alte sein. Fuck! Wie zum Teufel soll das gehen? Ein Gespräch mit Erwachsenen, die nicht Vater deines Kindes sind, ist fast unmöglich nach der Geburt. Durch Schlafmangel und Wassereinlagerungen (im Hirn?) und Babysprache fühlt sich dein Hirn an wie eine Mischung aus Pastinakenbrei und Waldmeister-Wackelpudding. Grau-grün und zäh und flutschig. Da kannst du froh sein, wenn du in dieser Zeit keine Mathearbeit bei Herrn Moll schreiben musst. Denn dafür brauchst du das Blut aus dem Bauch ja im Gehirn. Und das fließt da erst wieder hin, wenn … tja, wahrscheinlich wenn … ach, ich sag’s lieber nicht. Bald. Mit Sicherheit!
9.
Deutschland 2020:
In welche Welt wird mein Kind geboren?
Liebe Lisa,
es gibt Menschen, vor allem Männer, die vertreten die Haltung, dass man bloß keine Kinder in diese böse, kriminelle, ungerechte, umweltverschmutzte Welt hineinsetzen sollte. Das ist natürlich Quatsch. Und wäre mein Papa als Atomkraftgegner und Grünenwähler in den 80er-Jahren auch bei dieser Haltung geblieben, dann gäbe es heute keine Caro!
Aber dennoch ist mir jetzt, wo ich schwanger bin, oft ein bisschen mulmig.
Da gibt es zum Beispiel dieses Video auf Youtube, in dem eine circa Zweijährige versucht, auf einer Illustrierten mit dem Finger herumzutippen, als wäre es ein Ipad. Das Kind ist völlig verdutzt, dass das Papier anscheinend kaputt ist und sich keine lustigen bunten Fenster öffnen. »Steve Jobs hat mein Kind programmiert«, scherzt der Vater und Urheber des Videos in seinem Kommentar.
Tja, ist das wirklich witzig?
Auf jeden Fall ganz süß und eigentlich harmlos.
Viel schlimmer sind die Nachrichten in meiner Redaktion, die über den Ticker reinkommen, während ich »auf Arbeit« bin.
Da lese ich Sachen wie: »Zwei Elfjährige nach Koma-Saufen im Krankenhaus«, »Jugendlicher nach Facebook-Mobbing vermisst«, »30 Prozent aller Jugendlichen sind internetsüchtig«, »Jedes vierte Kind hat schon mal einen Porno über Handy auf dem Schulhof gesehen.« Zugegeben: Dass ich bei einer Zeitung arbeite, ist meiner Gelassenheit nicht sonderlich förderlich.
Aber mal ganz elternhaft spießig gesprochen: Das sind alles Probleme, die es in unserer Kindheit nicht gegeben hat. Wir interessierten uns null für Technik, für Alkopops und das Gehänselder anderen, wenn wir uns zur Kinderdisko im Gemeindesaal beim Tanzen aus Spaß Salzstangen in die Nase steckten. Wir pflückten Himbeeren im heimischen Garten oder im Hof, bastelten Laternen und spielten Seilhüpfen, anstatt uns vor dem Computer beim Internet-Chat den Hintern plattzusitzen. Nein. Wir aßen Frosties mit Milch auf der Couch und schauten nur Fernsehen, bis der Peter Lustig sagte: »Und jetzt abschalten.«
Waren wir die besseren Kinder? Oder etwa braver? Bestimmt nicht! Nur unsere Eltern: Die waren einfach schlechter informiert, sorgloser und mussten nicht mehrmals am Tag eine Panikattacke erleiden, weil sie beim Nachrichten-Checken in der U-Bahn von einer Erzieherin lesen mussten, die ein Kind zu Tode geschüttelt hat.
Verdammte Informationsflut!
Schlage ich ein Magazin beim Gyn im Wartezimmer auf, lese ich von steigenden Krebsraten, Burn-Out und Medikamentensucht. 150 000 Klein- und Grundschulkinder werden in Deutschland, laut einer Untersuchung des Sigmund-Freud-Instituts, regelmäßig mit Ritalin behandelt. Fast jedes dritte Kind hat heutzutage, laut Statistik, die Scheidung seiner Eltern miterlebt. Keine schöne Sache, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.
Kein Wunder also, dass der Cannabis- und Alkoholkonsum unter Kindern derzeit boomt. »Alle elf Minuten kommt in Deutschland ein Jugendlicher zwischen 15 und 25 wegen Cannabis- oder
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