Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
mir aussuchen könnte«, sage ich, »hätte ich gerne ein Haus, durch das man wandern kann – von einem Hausflügel zum anderen. Die größte Entfernung soll zwischen dem Eltern- und dem Kinderbereich sein. Wenn wir uns sehen wollen, treffen wir uns in der Mitte, wenn wir uns nicht sehen wollen, können wir uns aus dem Weg gehen.«
»Verstehe«, sagt Sarah. »Wir waren zu Hause vier Schwestern. Meine Mutter hat sich eine abschließbare Schallschutztür ins Schlafzimmer einbauen lassen.«
Wow, denke ich, coole Mutter.
»Unser Sohn ist elf«, sagt mein Mann. »Nicht mehr lange, und er wird beschließen, uns für die nächsten vier bis fünf Jahre aus dem Weg gehen zu wollen. Vielleicht sollten wir ein paar Überwachungskameras im Kindertrakt installieren?«
Am Ende des Abends hat Katja ein Dutzend Seiten vollgeschrieben. Wir wollen – außer Schmutzschleuse, Keller und Garage – unter anderem: Holzdielen. Etwas ganz Modernes. Eine Wohnküche mit Kamin. Buchenhecken. Kein klassisches Wohnzimmer, in dem man Gäste empfängt, denn Gäste sitzen bei uns sowieso immer nur am Esstisch, sondern ein separates Fernsehzimmer. Ein Flachdach. Bücherregale im Flur und dazu ein Fenster mit breiter Fensterbank, auf die man sich zum Lesen setzen kann. Einen begehbaren Kleiderschrank für die Eltern. Ein Gästezimmer im Keller. Ein großes Elternbad. Ein kleines Kinderbad. Eine Solaranlage. Einbauschränke. Unkraut, das zwischen Pflastersteinen wachsen darf. Ein Haus, das auf keinen Fall protzig, möglichst praktisch und trotzdem etwas ganz Besonderes sein soll.
Als mein Mann und ich vier Wochen später zum nächsten Treffen fahren, sind wir noch aufgeregter als unsere Kinder, wenn sie Heiligabend nach dem Gottesdienst nach Hause rennen. Endlich Bescherung! Gleich werden wir den ersten Hausentwurf sehen.
»Und was machen wir, wenn wir den Entwurf total daneben finden?«, fragt mein Mann im Auto.
»Ich fürchte, dann müssen wir das sagen«, sage ich. »Aber ich kann mir das nicht vorstellen.«
Vielleicht deshalb nicht, weil ich vermute, dass auch Sarah eher der Bungalow- als der Villentyp ist.
Ein guter Architekt, denke ich, ist wahrscheinlich so etwas wie eine Traumverwurstungsmaschine: Oben stecken die Bauherren einen Haufen Fotos, innere Bilder, konkrete Wünsche und diffuse Gefühle hinein, gewürzt mit einer Prise Größenwahn und Realitätsverlust, unten kommt ein paar Wochen später ein Haus heraus, auf das man selbst niemals gekommen wäre – oder zumindest eine Hausidee.
In das kleine, skizzenhafte Hausmodell, das auf dem Besprechungstisch in Sarahs Büro steht, verliebe ich mich auf der Stelle. Das Haus ist sehr schlicht. Es besteht aus zwei übereinanderliegenden Rechtecken, das größere Rechteck liegt auf dem kleineren. Es sieht aus wie ein Schuhkarton, auf den ein zu großer Deckel gelegt wurde. Links und rechts vom Schuhkarton stehen zwei Hexenhäuschen – die Miniaturausgaben unserer Nachbarhäuser: Das Flachdach macht sich gut zwischen den Spitzgiebeln.
»Was soll das hier sein?«, fragt mein Mann und zeigt auf ein Detail an der Straßenfassade des Schuhkartons.
»Da kommt die Garage hin«, sagt Katja.
»Nicht in den Keller?«, fragt mein Mann.
»Die Garage muss im Erdgeschoss liegen, in den Keller werde ich euch keine bauen, auch wenn ihr das, wie viele Bauherren, für eine praktische Idee haltet«, sagt Sarah und lächelt ihr pseudo-nachsichtiges, in Wahrheit stahlhartes Lächeln. »Häuser müssen ringsum fest auf der Erde stehen, eine Zufahrt in den Keller macht immer irgendwie den Eindruck, als wolle man seine Standfestigkeit untergraben. Das ist nicht schön.«
»Aha«, sagt mein Mann.
»Wenn das so ist«, sage ich.
Bis das Haus fertig ist, wird Sarah mit uns stundenlang über unzählige Details diskutiert haben. Über manches, das spüren wir in diesem Augenblick instinktiv, diskutiert sie nicht: Widerstand zwecklos.
Das Innere des Schuhkartons erläutern Sarah und Katja uns anhand einer handgemachten Grundrissskizze: Im Erdgeschoss wird es zum Garten hin eine sehr große Wohnküche geben mit genug Raum für einen großen Esstisch und ein kleines Sofa. Zur Straßenseite liegt der Eingang mit Garderobenschrank und Gäste- WC , neben dem Eingang liegt die Garage, neben der Garage liegt das Arbeitszimmer. Von der Garage aus gelangt man durch eine Schmutzschleuse in den Hausflur. Natürlich kann man auch durch die Haustür gehen – falls man berechtigt ist, einen Haustürschlüssel mit sich
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