Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Grundstück einen Auszug aus dem Liegenschaftsbuch und einen Auszug aus der Liegenschaftskarte, weil die Architektinnen diese Dokumente brauchen. Die Architektinnen brauchen diese Dokumente, um sie dem Bauantrag beizulegen, der demnächst eingereicht werden soll.
Wir haben uns noch ein paar Mal mit den Architektinnen getroffen und bei jedem Treffen mehrere Stunden an dem Hausentwurf gefeilt. Sarah brachte jedes Mal neue Ideen mit, aber auch wir selbst wurden immer einfallsreicher. Wenn wir einen Vorschlag hatten, für den sie uns lobte, waren wir stolz wie Kinder. Nun ist der Entwurf so gut wie fertig, wir sind fast ein bisschen traurig deshalb. Selten hatten mein Mann und ich zusammen so viel Spaß wie während der letzten Wochen und Monate.
Offenbar bin ich die einzige Kundin, die sich an diesem Freitagmittag auf den Weg ins Kundenzentrum gemacht hat. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass das Kunden zentrum am Arsch der Heide liegt, nämlich in einem tristen Büro- und Gewerbegebiet südlich des Hauptbahnhofs. Es öffnet täglich von Montag bis Freitag um acht Uhr, dienstags und donnerstags schließt es um vier, an den anderen Tagen um eins. Um in diesem Kundenzentrum Kunde zu werden, muss man entweder arbeitslos, Hausfrau oder Freiberufler sein, einen kulanten Chef haben oder sich einen halben Tag Urlaub nehmen wollen.
Auf wen nichts davon zutrifft, der kann den Auszug aus dem Liegenschaftskataster auch schriftlich beantragen und sich per Post zuschicken lassen.
»Aber ich sag Ihnen gleich«, hat der Herr am Telefon gesagt, mit dem ich heute Morgen sprach, »das kann vierzehn Tage dauern, bis wir das bearbeitet haben.«
Vor meinem inneren Auge erschienen meterhohe Stapel unbearbeiteter Anträge und heillos überlastete Behördenmitarbeiter. Mensch, dachte ich, in Zeiten, in denen der Rotstift in den Amtsstuben regiert, ist der Staatsdienst auch kein Zuckerschlecken mehr. Ich habe mich ins Auto gesetzt und bin eine gute halbe Stunde hierhergefahren. Zum Glück bin ich – die Bauherrin – zu einem Drittel Hausfrau und zu zwei Dritteln Freiberuflerin, kann also, wenn es sein muss, zu Zeiten, zu denen kein normaler Arbeitnehmer Freizeit hat, quer durch die ganze Stadt gurken, um irgendwo zwei DIN -A4-Zettel abzuholen, ohne die es kein neues Haus geben wird. Mein Mann – der Bauherr – arbeitet dagegen fest angestellt, und zwar viel zu viel, wie ich finde. Dafür verdient er auch viel mehr als ich.
Es wird sich herausstellen, dass dies die ideale Bauherrenpaar-Kombination ist: Einer opfert sein Festeinkommen, um den Traum vom Haus wahr werden zu lassen, der andere opfert seine Vormittage. Oder, um es ganz deutlich zu sagen: Keine Ahnung, wie man es schafft, ein Haus zu bauen, wenn beide Bauherren als Vollzeitangestellte täglich von neun bis achtzehn Uhr im Büro sitzen müssen und womöglich Kinder haben, die noch nicht alt genug sind, um sich alleine das Abendbrot in der Mikrowelle warm zu machen.
Ich stehe also als einzige Kundin weit und breit im Kundenzentrum, mir gegenüber die nebeneinandersitzenden, über ihre Schreibtische hinwegstarrenden Kundenzentrumsmitarbeiterinnen. Die Kundenzentrumsmitarbeiterinnen sehen total erschrocken aus, so als seien sie es nicht gewohnt, dass sich jemand Fremdes zu ihnen verirrt. Ich rechne damit, dass sich nach dem ersten Entsetzen freudige Überraschung auf ihren Gesichtern abzeichnen wird, sicher bin ich eine schöne Abwechslung. Ich weiß nicht, welche von ihnen zuletzt – wahrscheinlich vorvorgestern – einen Kunden den ihren nennen durfte, ich weiß aber, dass ich weder Neid noch Zwietracht zwischen den drei Damen vom Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung säen will. Also überlasse ich es ihnen zu entscheiden, an welchem Schreibtisch ich Platz nehme: »Und? Wer möchte?«
Keine der Damen sagt etwas, sie starren mich einfach weiter an, stumm und völlig reglos. Meine gute Laune kippt ins Betretene, ich gehe zu der Kundenzentrumsmitarbeiterin ganz rechts, deren linker Mundwinkel eben wenigstens ein bisschen gezuckt zu haben scheint, sodass man davon ausgehen kann, dass sie noch am Leben ist. Ich lege meinen Ausweis und die Notarurkunde auf den Tisch.
Ich sage: »Hallo, wir haben ein Grundstück gekauft und wollen bauen, und darum brauchen wir jetzt einen Auszug aus dem Liegenschaftsbuch und der Flurkarte, für den Bauantrag.«
Noch vor zwei Minuten habe ich mir eingebildet, dass dieser Satz Jubel und Glückwünsche bei den
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