Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
ein Freund, ein Chirurg, nachdem wir den Architektenvertrag längst unterschrieben haben.
»Ja, klar«, sage ich.
»Und wie viele Häuser hat sie schon gebaut?«, will der Freund wissen. »So ganz allein, mit allem Drum und Dran?«
»Weiß ich gar nicht so genau«, sage ich.
Ich weiß nicht so genau, ob es ein, zwei oder drei oder zwanzig sind. Vielleicht will ich es gar nicht so genau wissen. Jedenfalls ist es eine überschaubare Anzahl. Aber dafür kann sie nichts – schließlich ist sie noch jung, gerade einmal Anfang dreißig, und mit Anfang dreißig kann man nun einmal noch nicht dreihundert Häuser gebaut haben.
»Ich bin ganz sicher, dass sie das sehr gut macht«, sage ich. »Das sagt mir mein Bauch. Und mein Verstand sagt: Sie muss es sehr gut machen, schließlich steht sie noch am Anfang ihrer Karriere, da kann man es sich gar nicht leisten, keine gute Arbeit zu machen. Und außerdem ist sie total engagiert und kreativ.«
»So, so«, sagt der Chirurg und zieht wissend die Augenbrauen hoch. »Na, dann mal viel Spaß!«
Dann lacht er dreckig. Keinen Satz, das habe ich inzwischen mitbekommen, hört man öfter als diesen, wenn man den Leuten erzählt, dass man vorhat zu bauen: »Na, dann mal viel Spaß!« Man gewöhnt sich daran.
»Jeder alte Hase hat als junges Gemüse angefangen«, sage ich, »und irgendwen muss es nun mal geben, der dem jungen Gemüse die Möglichkeit gibt, ein alter Hase zu werden. Du zum Beispiel hast auch irgendwann mal deine allerersten Bäuche aufgeschnitten. Wie hättest du reagiert, wenn die Patienten zu dir gesagt hätten: ›Nee, Herr Doktor, Finger weg von meinem Bauch, Sie sind mir zu jung und unerfahren!‹«
Der Chirurg denkt kurz nach. »Ich hätte gesagt: ›Frau Meyer, machen Sie sich keine Sorgen, Sie können mir absolut vertrauen, ich kann das.‹«, sagt der Chirurg. »Und gedacht hätte ich: ›Frau Meyer, Sie haben recht, an Ihrer Stelle würde ich mich niemals von mir operieren lassen.‹«
Ein paar Tage später telefoniere ich mit Sarah.
»Sag mal«, sage ich, »wie viele Häuser hast du eigentlich schon gebaut?«
»Julia«, sagt Sarah, »bitte mach dir keine Sorgen, ihr könnt mir vertrauen, wir bekommen das hin.«
Baunebenkosten inkl. MwSt.:
Übertrag 32.065,00 €
Baugutachter, Kurzgutachten 299,88 €
Zwischensumme 32.364,88 €
Traumverwurstung
Stellt man ein Grundschulkind in einen Spielzeugladen und sagt: »Schieß los! Was willst du alles haben?«, dann wird es, wenn es nicht die Tochter von Tom Cruise und Katie Holmes oder aus anderen Gründen völlig missraten ist, ein paar Augenblicke zögern, bevor es sich traut, langsam die Regale abzuwandern und – erst schüchtern, dann immer hemmungsloser – mit der Aufzählung zu beginnen: »Die Barbie. Und das Playmobilschloss. Die Carrera-Bahn. Die Feuerwehrmannverkleidung, den Kaufmannsladen …«
Die Geburt ist der Augenblick, in dem wir beginnen müssen, zugunsten der Vernunft und mit Rücksicht auf die Verhältnisse, wie sie nun mal sind, Verzicht zu üben. Mit sieben halten wir das noch nicht lange durch, aber als halbwegs normale Erwachsene haben wir es fast verlernt, einen Wunschzettel zu veröffentlichen, ohne ihn auf sein Verwirklichungs- und Pragmatismuspotenzial hin überprüft und nach diesen Kriterien zensiert zu haben.
»Eine Schmutzschleuse also«, sage ich, »und ich brauche ein kleines Arbeitszimmer.«
»Ein Keller mit Garage«, sagt mein Mann.
»Zwei Kinderzimmer natürlich, nicht zu klein und nicht zu groß«, sage ich.
Es dauert eine Stunde und eine Flasche Rotwein, bis wir uns so warm gewünscht haben, dass Katja mit dem Schreiben kaum noch mitkommt. Aus den Wünschen werden Träume – viel zu groß und kühn für ein Fünfhundertsiebenundfünfzig-Quadratmeter-Grundstück in einem dicht besiedelten städtischen Gebiet und unbezahlbar sowieso. Aber Sarah glaubt nun einmal, dass der Weg zum individuellen Haus nicht über das Mögliche, sondern über das Unmögliche führt: Ein Traumhaus, so habe ich es verstanden, ist ihrer Meinung nach kein aufgemotztes Nullachtfünfzehn-Haus, sondern ein geschrumpftes Luftschloss.
Ich schiebe Sarah und Katja über den Tisch hinweg einen halben Regalmeter Wohnzeitschriften und Architekturbücher zu. Zwischen den Seiten der Zeitschriften und Architekturbildbände kleben bunte Zettelchen. Wir hatten die Hausaufgabe, zu diesem Treffen Bilder zu sammeln von Häusern, Möbeln, Räumen, Farben, Landschaften, Einrichtungsgegenständen,
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