Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Brüche geht – ihren Exmann zwar nicht braucht, um die Miete für die Dreizimmerwohnung bezahlen zu können, in die sie nach der Trennung ziehen wird. Leider aber werde ich ihn dringend brauchen, um in der neuen Wohnung Lampen aufzuhängen, Jalousien zu befestigen und Regalträger in die Wand zu dübeln. All das habe ich nie gelernt, immer gab es irgendwelche Männer, die diese Dinge für mich erledigt haben – erst meinen Vater, dann meine Freunde, dann meinen Mann. Ich habe mich nie dagegen gewehrt.
Was handwerkliche Fähigkeiten angeht, entspreche ich aufs Lächerlichste dem Klischee des hilflosen, auf männliche Rettung hoffenden Weibchens. Sobald ein Mann mit einem Werkzeug in der Hand vor mir steht, muss ich mich sehr bemühen, um mich nicht auch genau so zu benehmen. Kfz-Mechanikern, Malergesellen und Elektroinstallateuren gegenüber verfalle ich sehr leicht in einen dümmlich-mädchenhaften, von sinnlosen Kichereinlagen und kulleräugig-beschwichtigenden Blicken untermalten Singsangtonfall – wahrscheinlich irgend so ein archaischer Steinzeitreflex, der dem körperlich überlegenen Männchen signalisieren soll: »Großer, starker Mann, ich bin ganz, ganz lieb, bitte, bitte tu mir nichts, sondern beschütze mich, indem du meinen Keilriemen reparierst.«
Frauen, die sich so benehmen, werden bestenfalls und zu Recht nicht weiter ernst genommen. Schlimmstenfalls nutzt man ihre Harmlosigkeit aus, bescheißt sie ein bisschen oder lässt sie gar richtig bluten: Ich bin ein potenzielles Handwerker- und Bauarbeiteropfer. Ich tue mir jetzt schon leid. Ich bin kurz davor, Katja anzurufen und zu sagen: »Ich kann das doch nicht, bitte übernehmt ihr, ist mir scheißegal, was das kostet.«
Aber Katja ist auch eine Frau, eine viel jüngere dazu. Sämtliche Angestellte in Sarahs Büro sind junge Frauen. Frauen, die Häuser bauen und daher den ganzen Tag nichts anderes tun, als mit Handwerkern zu reden. Offensichtlich kann man es auch als Frau lernen, mit Handwerkern zu reden, ohne rot zu werden. Und ich, beschließe ich, werde das auch endlich lernen müssen. Ich werde meine »Komfortzone« verlassen – jenen Erfahrungsbereich, in dem wir uns auskennen und sicher fühlen und der zu einem Gefängnis werden kann, wenn wir uns so gemütlich darin einrichten, dass wir uns nicht mehr trauen, uns neuen, unbekannten Herausforderungen zu stellen. Ich hänge mir einen Zettel an die Wand, auf dem Zettel steht: »Ich organisiere einen Hausabriss und entwickele so meine Persönlichkeit weiter.«
Ein Haus abreißen zu lassen bringt ungefähr so viel Spaß wie die Endrenovierung einer Wohnung, aus der man auszieht – es muss halbwegs anständig gemacht sein, aber auf keinen Fall möchte man auch nur zehn Euro zu viel dafür ausgeben. Katja hat mir ein Unternehmen genannt, aber ich werde mir mehrere Angebote machen lassen müssen, um Preise vergleichen zu können.
Ich gebe »Hausabriss« und »Preis« bei Google ein und lande bei My-Hammer.de. MyHammer ist ein Online-Dienst leistungsauktionshaus: Als Auftraggeber inseriert man kostenlos eine Beschreibung der Arbeit, die zu tun ist – vom »Abriss« über »Babysitten«, »Chinesischunterricht« und »Dachdecken« bis zur »Zwetschgenernte«. Wer diese Arbeit übernehmen möchte, kann entweder Kontakt aufnehmen, um Näheres zu erfahren, oder sofort ein Gebot abgeben, zu welchem Preis er den Auftrag erledigen würde. Der Auftraggeber ist nicht dazu verpflichtet, das günstigste oder irgendein anderes Gebot anzunehmen.
Für das Schreiben einer einseitigen Magazinglosse brauche ich normalerweise nicht länger als vier oder fünf Stunden, das Formulieren einer Hausabrissausschreibung kostet mich fast einen ganzen Arbeitstag. Ich stelle die Ausschreibung bei MyHammer ins Netz. Wenige Stunden später meldet sich das erste Unternehmen und bittet um einen Besichtigungstermin am nächsten Tag.
Am nächsten Morgen fahre ich vor der Arbeit ins Bezirksamt. Im Bezirksamt händigt mir ein netter Herr zwei Formulare aus, erstens einen »Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zur Sondernutzung öffentlicher Wege«, zweitens einen »Antrag auf Erteilung eines Aufgrabescheines«. Mit dem ersten Antrag beantragt man, den Geh- und Radweg noch zu irgendetwas anderem benutzen zu dürfen, als darauf zu gehen und Rad zu fahren – zum Beispiel dazu, ihn von Baufahrzeugen überrollen zu lassen. Mit dem zweiten Antrag beantragt man die Erlaubnis, Gehwegplatten auszugraben und dort stattdessen etwas
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