Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
das, was man Stahlbeton nennt. Weil es zurzeit so heftig regnet, hat Napoleon beschlossen, mit dem Bau der Verschalung erst kurz vor der Lieferung der Bewehrungseisen zu beginnen, also am kommenden Montag. Die Verschalung ist jene aus Holz gezimmerte Gussform, in die erst die Bewehrung gelegt und dann der Beton gegossen wird. Wenn das Holz sich mit Wasser vollsaugt, kann es sich verformen.
Am kommenden Montag schreibe ich eine Mail an Sarah: »Katja hat uns gesagt, dass die Rohbauer heute mit den Schalungen anfangen wollten. Bin eben am Grundstück vorbeigefahren, aber da ist wieder niemand auf der Baustelle. Wegen des Regens? Wir haben schon so oft von Handwerkern gehört, die einfach nicht kommen: Sollen wir uns aufregen?«
Sarah ruft an und sagt, wir sollen uns nicht aufregen, sondern aufhören, jeden Tag am Grundstück vorbeizufahren: »Julia, wir machen uns keine Sorgen, also macht ihr euch bitte auch keine, o.k.?«
O.k.
Baunebenkosten inkl. MwSt.:
Übertrag 52.820,53 €
Grob- und Feineinmessung Grundstück/Haus inkl. Katastergebühren 819,91 €
Zwischensumme 53.640,44 €
Der Rohbau ist das Einfachste
Wir stehen mit einem Glas Sekt auf der Terrasse von Freunden von Freunden, die zum alljährlichen spätsommerlichen »Apfelfest« in ihren Garten geladen haben. Es ist Mitte September. Kinder wuseln zwischen den Erwachsenen herum, die Erwachsenen unterhalten sich. Wir sind das erste Mal dabei und kennen nur wenige der Gäste. Die Hausherrin ist eine aufmerksame Gastgeberin und bemüht, uns mit den anderen ins Gespräch zu bringen: »Habt ihr Tanja und Matthias schon kennengelernt? Die haben auch mit Architekt gebaut. Wunderschön. Vor einem Jahr, glaube ich, sind sie eingezogen. Matthias, das hier sind Julia und Christian, die sind gerade dabei zu bauen.«
Zu meiner Ausbildung an der Journalistenschule gehörte neben Lehreinheiten wie »Das schwierige Interview«, »Die Hörfunk-Live-Reportage« oder »Die Alltagsglosse« ein mehrtägiges Etiketteseminar. Unsere Schulleiterin hielt es offenbar für nötig, dem Haufen naseweiser, vorlauter und luschig gekleideter junger Menschen, aus dem unser Journalistenschuljahrgang bestand, Benehmen beizubringen: Als zukünftige Kontrolleure der Mächtigen sollten wir in die Lage versetzt werden, bei dem Besuch von Galadinners, Parteiempfängen und Vorstandsetagen erfolgreich Netzwerke zu knüpfen, statt uns durch die Wahl des falschen Schuhwerks, des falschen Bestecks oder des falschen Gesprächsthemas aus dem Rennen um Informanten und Informationen zu katapultieren.
Bei der Benimmtrainerin, der Kommunikationsexpertin Elisabeth Bonneau, habe ich nicht nur gelernt, dass man mit dem Buttermesser die Butter nicht großflächig auf die Brotscheibe streicht, sondern Butterflöckchen für Butterflöckchen auf die Abbeißkante aufträgt. Daran halte ich mich bis heute. Ich habe auch gelernt, dass man, falls man auf einer Party mit dem Papst ins Gespräch kommt, ihn nicht bei einem Glas Champagner in eine Kontroverse über homosexuelle Priester oder das Recht auf Abtreibung verwickeln sollte – jedenfalls dann nicht, wenn man gewillt ist, sich als angenehmer Gast und geschliffener Small Talker zu profilieren. Als idealer Gastgeber wiederum hat man die Aufgabe, einander fremde Menschen dazu zu bringen, miteinander zu reden, indem man ihnen auf charmante Weise ein ebenso unverfängliches wie ergiebiges Thema unterjubelt, zu dem beide Seiten etwas zu sagen haben.
Auf den ersten Blick hat unsere Apfelfest-Gastgeberin ihre Rolle vorbildlich ausgefüllt. Für zukünftige und ehemalige Bauherren ist der Gesprächsgegenstand »Hausbau« ein nicht nur ergiebiges, sondern mindestens abendfüllendes, wenn nicht gar unerschöpfliches Thema.
Dass dieses Thema auch das Kriterium der Unverfänglichkeit erfüllt, dass es sich also dazu eignet, beiden Gesprächspartnern eine angeregte und angenehme, keinesfalls Unsicherheit und Verstimmung auslösende Unterhaltung zu ermöglichen, das ist allerdings nicht in jedem Fall gesichert. Es hängt vom Erfahrungsstand der einzelnen Gesprächspartner ab. Der Hausbauanfänger nähert sich dem Thema »Hausbau« aus Selbstschutzgründen unter dem Leitmotto: »Keine Panik, wird schon irgendwie gut gehen.« Der Hausbauveteran dagegen hält sich für einen Überlebenden: »Viel Glück, ihr werdet es schon irgendwie überstehen.«
Unterhalten sich zwei Anfänger oder zwei Veteranen miteinander, werden sie sich gegenseitig in ihrer jeweiligen Haltung
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