Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Belüftungsrohr für den Kamin.
Die Wände im Erdgeschoss sind fast fertig, sie zu errichten hat nicht lange gedauert: Es gibt kaum Mauern im Erdgeschoss, weil es dort stattdessen überall Fenster und offen ineinander übergehende Räume geben wird. Die einzigen Räume mit vier Wänden sind das Gästeklo, der Technikraum und der Wirtschaftsraum – auch »Kellerersatzraum« genannt. Jedes Mal, wenn ich auf der Baustelle bin, gehe ich in diese Räume hinein, stelle mich zwischen die nackten Ytong-Wände und versuche, mir vorzustellen, wie ich hier auf dem Klo sitze oder dort die Waschmaschine stopfe.
Das Rohbau-Gäste- WC sieht winzig aus, der Wirtschaftsraum wirkt, als wäre er voll, sobald man eine Waschmaschine hineinstellt, und zu Hause gucke ich regelmäßig auf die Grundrisse, um mich zu versichern, dass unsere Wohnküche tatsächlich fast fünfzig Quadratmeter haben wird: Die gefühlte Fläche ist höchstens halb so groß. Ich denke oft an den Kollegen meines Mannes, der zusammen mit seiner Frau die Dachgeschosswohnung in einem noch nicht gebauten Haus gekauft und gleich nach dem Richtfest wieder verkauft hatte. Erstens blickte man von dort nicht, wie im Exposé versprochen, ins Grüne, sondern über graue Großstadtdächer. Zweitens waren beide entsetzt, wie eng die angeblich großzügige Wohnung war. Vielleicht hätten sie vor dem Verkauf mit Sarah sprechen sollen.
»Keine Sorge«, hat Sarah zu uns gesagt. »Im Rohbau sehen alle Räume viel kleiner aus, als sie sind. Wartet, bis der Innenputz gemacht ist – der Effekt ist bombastisch. Ihr werdet staunen, wie groß euch das Haus plötzlich vorkommt.«
»Ein Neubau ist echt ein hartes Stück Arbeit«, sagt Matthias. »Aber dafür kann man alles auf dem modernsten Stand der Technik planen, das hat auch was. Wie werdet ihr heizen? Erdwärme?«, fragt Matthias. »Wir haben eine Erdwärmepumpe, genial.«
Über eine Erdwärmepumpe hatten wir kurz nachgedacht, aber erstens war sie uns zu teuer – allein die Bohrung hätte mehrere Tausend Euro gekostet –, und zweitens hat uns irgendwer gewarnt, dass diese Technik noch zu jung und darum nicht ausgereift sei: Noch wisse niemand, ob diese Pumpen tatsächlich eine so lange Lebensdauer haben, dass sich die Kosten für ihre Anschaffung halbwegs rentieren. Keine Ahnung, ob das stimmt. Auf jeden Fall waren wir, anders als Tanja und Matthias, zu feige und zu knickerig, um uns nun zu den Pionieren des modernen Hausbaus zählen zu dürfen.
»Wir haben Gas und Solar. Mit Heizungsunterstützung«, sage ich und fühle mich dabei fast genau so, wie ich mich mit dreizehn fühlte, als meine Mutter mir endlich die heiß ersehnten Adidas-Basketballschuhe mit den blauen Streifen kaufte und mir drei Wochen später klar wurde, dass die wirklich coolen Säue das Modell mit den schwarzen Streifen trugen. Bis eben dachte ich, mit einer Solaranlage lägen wir ganz weit vorne. Jetzt habe ich auf einmal das vage Gefühl, Solar sei eine Technik aus der vorletzten Saison – fast schon wieder out.
»Dreifachverglasung?«, fragt Matthias.
Ich nehme einen Schluck Sekt und nuschele ins Glas hinein: »Nein, zweifach.«
Tanja und Matthias haben ein Niedrigenergiehaus, deshalb die besonders gut isolierende Dreifachverglasung. Wir dagegen bauen ein Haus, das nur den gesetzlichen Minimalanforderungen entspricht. Im Vergleich zu alten Häusern wird es sehr gut gedämmt sein und daher sehr viel weniger Energie verbrauchen. Laut Energieeinsparverordnung gilt es trotzdem nicht als Niedrigenergiehaus.
In der Energieeinsparverordnung, kurz » EnEV « genannt, ist festgelegt, wie viel Energie ein Neubau maximal verbrauchen darf. Die EnEV gibt es seit 2002. Sie wurde immer wieder verschärft. Das heißt: Bauherren wurden im Laufe der Jahre dazu verpflichtet, immer energieeffizienter zu bauen. Vor Inkrafttreten der für uns geltenden EnEV 2009 wäre unser Haus ein förderungsfähiges Niedrigenergiehaus gewesen. Jetzt ist es – mitsamt der Solaranlage – nur noch Standard. Wir bekommen keinerlei Zuschüsse.
Ein Niedrigenergiehaus wie das von Tanja und Matthias ist ein Haus, das weniger Energie verbraucht, als es laut geltendem Gesetz maximal verbrauchen darf. Verbraucht es höchstens siebzig Prozent des erlaubten Bedarfs, ist es ein KfW-70-Haus, ein KfW-55-Haus verbraucht nicht mehr als fünfundfünfzig Prozent und so weiter. Unser Haus wird sozusagen ein KfW-100-Haus.
»Und wollt ihr ein Bus?«, fragt Matthias.
»Was sollen wir wollen?«, frage
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