Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Ansichten des Hauses gesehen haben. »Habt ihr die auch schon den anderen Nachbarn gezeigt?«
»Nee«, habe ich geantwortet, »besser nicht. Sonst legt womöglich noch irgendwer Beschwerde beim Bauamt ein. Ich will lieber gar nicht wissen, wie die unser Haus finden.«
»Pass auf, ich weiß, wie es laufen wird«, sagt mein Mann eines Tages, als wir ausnahmsweise doch mal wieder an das Haus denken. »Es wird erst im September losgehen. Der Rohbau wird im November fertig sein, dann fängt es so doll an zu regnen, dass die Fenster nicht eingebaut werden können. Und dann kommt gleich danach auch schon der Winter, und es schneit und friert, und bis mindestens Februar geht gar nichts mehr. Ich wette, ich bin der Erste, der im neuen Haus Geburtstag feiert.«
Mein Mann ist Ende Mai geboren.
»Es kommt, wie es kommt«, sage ich.
Zu Beginn des Wartens haben wir ständig zusammengerechnet, was uns die Verzögerung kostet: pro Monat eine vierstellige Kaltmiete. Irgendwann hören wir damit auf, denn das führt zu nichts anderem als zu Heulen und Zähneklappern. Wir finden uns mit dem Gedanken ab, auf unabsehbare Zeit mit unfassbar hohen monatlichen Festkosten rechnen zu müssen – zur laufenden Miete kommt nach dem Hauskauf die Zahlung der Kreditraten. Zum Glück haben wir so kalkuliert, dass uns diese doppelte Belastung zwar sehr einschränkt, aber selbst dann nicht das Genick brechen wird, wenn sie zur Dauereinrichtung werden würde. Wir haben uns in einen finanziellen Winterschlaf begeben, unsere Ausgaben sind auf ein Minimum gedrosselt, unser privates Konsumentenbarometer befindet sich im Allzeittief, aber wir atmen noch. Dass das möglich sein muss, darauf hatte ich von Anfang an bestanden. Alles andere, denke ich, würde ich nicht überstehen.
Das mit dem Verdrängen funktioniert tagsüber ganz gut. Nachts weniger. Ich träume: Mein Mann und ich sind irgendwo im Ausland, ganz weit weg von zu Hause, in Übersee. Wir müssen dringend nach Hause fliegen, zu den Kin dern. Wir verpassen den Flug. Wir erfahren, dass wir einen neuen Flug buchen und bezahlen müssen, der viel, viel teurer ist als der ursprüngliche – tausenddreihundert Euro pro Person. Leider verpassen wir auch diesen Flug. Wir müssen noch einmal zwei Tickets kaufen, sie sind noch teurer. Diesmal tue ich alles, um schon Stunden vor Abflug am Flughafen zu sein, ich treibe meinen Mann an, wir brechen tatsächlich sehr früh auf, aber dann fällt meinem Mann ein, dass er Hunger hat und unterwegs noch etwas essen gehen will. Ich schreie ihn an: »Nein, tu mir das nicht an, wir werden schon wieder zu spät kommen!« Aber mein Mann hört mich nicht, er setzt sich einfach in ein Restaurant. Ich schreie: »Guck mal, wie spät es schon ist!« – »Wir haben doch noch ewig Zeit, das wird schon gut gehen«, sagt mein Mann und isst. Ich schaue auf die Uhr, ich sehe die Uhrzeit, ich weiß, dass es nicht gut gehen wird, es ist nämlich schon wieder schiefgegangen, denn plötzlich ist es viel später als gerade eben noch. Wir haben den Flug schon wieder verpasst. Ich heule. Ich werde geweckt von meinem eigenen Schluchzen. Mir ist schlecht. Ich renne ins Bad und übergebe mich.
Wenige Tage nach meinem Albtraum stehen plötzlich Bagger, Radlader und Kipplaster auf unserem Grundstück herum. Mein Mann und ich sind aus dem Auto ausgestiegen und starren die schweren Fahrzeuge an. Auf Menschen und Mieter wie uns, die bisher das Streichen der Wohnung durch einen Maler für einen umfangreichen Handwerkerauftrag hielten, machen die Baufahrzeuge sehr großen Eindruck.
»Schluck«, sagt mein Mann. »Wer hat die denn bestellt?«
»Ich glaube, das waren wir«, sage ich.
Baunebenkosten inkl. MwSt.:
Übertrag 52.441,75 €
Gebühr Änderungsbescheid Bauantrag 378,78 €
Zwischensumme 52.820,53 €
Teil 4
Fehlstart
Ein Donnerstagmorgen Mitte August, morgens halb neun, ich sitze im Büro-Outfit im Auto. Auf dem Weg zum Schreibtisch werde ich einen Zwischenstopp einlegen am Grundstück, um Herrn Dammann zu begrüßen, den Chef der Baufirma, die unseren Rohbau baut und heute Morgen mit der Arbeit anfangen wird. Als Allererstes wird das Fundament gegossen werden.
Es ist keine zwölf Stunden her, dass ich das letzte Mal beim Grundstück gewesen bin, zusammen mit meinem Mann. Gestern Abend hatte ich so lange auf ihn eingeredet, bis er gegen zweiundzwanzig Uhr ein Einsehen hatte, sich die Schuhe anzog und eine Taschenlampe und ein Maßband einsteckte, um mit mir zusammen die
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