Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
sprechen, obwohl du mir das wirklich sehr, sehr schwer machst. Aber noch ein blödes Wort von dir, und ich verliere auf der Stelle die Beherrschung!
Meine Tochter presst die Lippen aufeinander. Die schlechte Laune staut sich in ihren Gesichtszügen, bis sie es nicht mehr aushält und – koste es, was es wolle – das orale Überlaufventil erneut aktiviert werden muss: »Und dann hat Paula auch noch so alte Dachbalken im Zimmer, das sieht bestimmt viel gemütlicher aus als bei mir.« Dann brechen bei ihr alle Dämme: »Ich will auch lieber ein altes Haus, das ist viel schöner als so ein doofes modernes mit so einem pottenhässlichen grünen Linealumfußboden oder wie der heißt! Warum habt ihr uns eigentlich nicht gefragt, ob wir den auch haben wollen?«
Sie hat es nicht anders gewollt.
»Schluss jetzt!«, schreie ich. »Papa und ich bezahlen das Haus, also bestimmen wir, welchen Fußboden wir nehmen – und zwar, ohne dich um Erlaubnis bitten zu müssen. Und ist dir eigentlich klar, dass es massenhaft Kinder gibt, die gar kein Zimmer für sich allein haben, geschweige denn ein eigenes Haus? In armen Ländern gibt es ganze Familien, die zu zehnt auf siebzehn Quadratmetern leben müssen. Und du jammerst rum, weil deine Freundin ein bisschen mehr Platz hat als du? Rate mal, wie ich das finde? Das finde ich … das Hinterletzte, du verzogenes Kind!«
Das verzogene Kind rennt schluchzend in sein aktuelles, vierzehn Quadratmeter großes Zimmer und knallt die Tür hinter sich zu. Abends sitze ich mit meinem Mann zusammen, wir trinken ein Glas Rotwein, ich erzähle ihm von unserer Tochter und unserem Streit.
Ich sage: »Ich weiß gar nicht, was mit der los ist. Die war doch früher nicht so.«
Mein Mann sagt: »Du meinst früher, als unsere Kinder noch dachten, es gäbe Wichtigeres als die Frage, ob wir einen zwei- oder dreiseitig geöffneten Kamin nehmen und welche Form unsere Türgriffe haben?«
Ich denke an eine Szene vor vielen Jahren zurück. Unser Sohn war acht oder neun und zeigte irgendein ungebührliches Verhalten, das er trotz mehrmaliger Ermahnung nicht zu unterlassen bereit war. Ich war einerseits mit meinem mütterlichen Latein am Ende, andererseits war ich zu faul und müde, um mein Kind auf nachdrücklichere Weise zu maßregeln als durch Worte. In meiner Resignation flüchtete ich mich in eine Feststellung, die so zutreffend wie pädagogisch sinnlos war: »Weißt du was? Du benimmst dich wirklich fürchterlich.«
Daraufhin mein Sohn: »Dafür kann ich nichts. Du und Papa, ihr erzieht mich doch.«
Stimmt. Es sind immer die Eltern, die schuld daran sind, wenn die Kinder durchdrehen. Auch diesmal.
Seit wir das alte Haus gekauft haben, haben wir das Thema »Hausbau« zum Zentrum unserer Familienkommunikation gemacht. Nicht nur deshalb, weil es das Thema ist, das uns zurzeit am meisten beschäftigt. Nein, ich gestehe: Auch deshalb, weil wir uns nicht sattsehen konnten an vor Freude glänzenden Kinderaugen. Der sicherste und simpelste Weg, Kinderaugen zum Glänzen zu bringen, ist nun einmal der, etwas tolles Neues zu kaufen.
Die aufregendsten Neuanschaffungen, die meine eigenen Eltern tätigten, als ich Kind war, waren Ende der Siebziger unser erster Farbfernseher und ein malachitgrüner Audi 80 GL mit elektrischen Fensterhebern, Radio und Kassettendeck, in dem mein Vater an einem Frühlingstag im Jahr 1983 auf den Parkplatz vor unserer Reihenhausreihe rollte. Meine älteren Schwestern und ich wurden von unseren Eltern keineswegs materialistisch, sondern ausgesprochen werteorientiert erzogen. Trotzdem – oder gerade deshalb? – bildeten die Einführung des neuen Autos und des neuen Fernsehgerätes in unseren Haushalt feierliche Höhepunkte unseres Familienlebens, die einen festen Platz in meinen schönsten Kindheitserinnerungen haben. Das Gefühl, das ich empfand, als ich zusammen mit meinen Schwestern zum ersten Mal vor dem nagelneuen Grundig-Fernseher oder auf der Rückbank des fabrikneu riechenden Audis saß, kann ich bis heute abrufen: Stolz auf meine Mutter und meinen Vater, die uns so etwas ermöglichen konnten – aber auch Geborgenheit. Eltern, die so groß und stark waren, dass sie ein neues Auto kaufen konnten, waren bestimmt auch groß und stark genug, um sich unter ihrer Obhut vor jedweder Unbill sicher fühlen zu können. Ich war glücklich. Wie glücklich, hatte ich gedacht, müssen meine eigenen Kinder erst sein, wenn sie erfahren, dass ihre Eltern ein eigenes Haus
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