Ich habe abgeschworen
Sexualität außerhalb der Ehe und Homosexualität werden für beide Geschlechter mit der Todesstrafe geahndet. Ich bin eine Frau, die in zweiter Ehe lebt, die 50 Jahre alt ist – und ich fühle mich immer noch nicht völlig frei in meiner Sexualität, die Bürde dieser Erziehung und des Frauenhasses darin ist zu groß. Und nun sehe ich in Deutschland eine Parallelgesellschaft wachsen, in der Mädchen lernen, ihren Körper ebenso als Verlockung des Teufels zu sehen, allein hin auf eine von den Eltern arrangierte Ehe zu leben, in der ihre Sexualität darin besteht, sich einem Mann hinzugeben, den sie sich nicht ausgesucht haben. Vor der Ehe gilt es nur, die Jungfräulichkeit zu bewahren, in der Ehe nur, Mutter, am besten von Söhnen, zu werden.«
Ich bin eine durchaus kritische EMMA -Leserin, denn die Hofierung konservativer Politikerinnen, nur weil sie Frauen sind, ist mir unverständlich. Dennoch ist es in meinen Augen kein Zufall, dass die Zeitschrift EMMA eine der ersten Stimmen gegen die Frauenunterdrückung im Islam war. Schließlich war in den 90er-Jahren, nachdem der Feminismus so viel für Frauen erreicht hatte in Sachen sexueller Selbstbestimmung und Teilhabe an der Macht, kaum zu übersehen, dass mit dem Kopftuch auf deutschen Straßen diese Rechte einer zunehmenden Zahl von Frauen wieder abgesprochen wurden. Aber selbst in den Reihen der Feministinnen gab es solche, die dem Kulturrelativismus frönten und kritische Stimmen des Rassismus bezichtigten. Ich bin immer wieder empört, so etwas zu hören, und da man mir schlecht Rassismus gegen meine Kultur unterstellen kann, kann ich nur sagen: Tut eine Vergewaltigung weniger weh, weil der Täter denkt, Gott habe ihm persönlich das Recht dazu gegeben?
Im Gespräch mit Arzu Toker merkte ich schnell, dass ich eine Verbündete vor mir hatte. Sie hatte mit 22 Jahren ihr Heimatland verlassen und war 1974 nach Deutschland ausgewandert. Ausgestattet mit einem, wie sie selbst formulierte, ungeheuren Freiheitsdrang, kritisierte sie bereits früh die Frauenfeindlichkeit des Islam und arbeitete als Journalistin auch zu diesem Thema für zahlreiche Printmedien sowie für den Hörfunk. Großes Aufsehen erregte dabei ihr Hörfunkfeature »Die Frau im Islam, eine psychoanalytische Annäherung an Mohammed als Ehemann«, das für den Hessischen Rundfunk produziert worden war. Neben der journalistischen Arbeit war und ist Arzu Toker auch als Schriftstellerin, Pädagogin, Dolmetscherin und Übersetzerin tätig. Von 1985 bis 1997 war sie als Ausländervertreterin Mitglied des Rundfunkrats des WDR. Nebenher initiierte sie auch noch zahlreiche Bildungs- und Frauenprojekte. Als wir uns trafen, arbeitete Arzu gerade an der Übersetzung des Werks » Frauen sind eure Äcker!« Frauen – Scharia – Islam . (Alibri Verlag 2008) Ich war sehr froh, eine solche Mitstreiterin gefunden zu haben! 20
Der Islam und der »Abfall vom Glauben«
Kurz nachdem ich Michael Schmidt-Salomon kennengelernt hatte, im März 2006, war ein Aufschrei durch die Medien gegangen: Ausgerechnet in Afghanistan, mit seinem in westlicher Demokratierhetorik kundigem Staatschef Hamid Karsai, war ein zum Christentum konvertierter Muslim, der 40-jährige Abdul Rahman, von einem Todesurteil bedroht. Denn mag auch die afghanische Verfassung in manchen Punkten modern sein – die Scharia steht über ihr, und sie verbietet den Abfall vom Islam, die Apostasie, unter Androhung der Todesstrafe. Zwar steht in der afghanischen Verfassung etwas von Religionsfreiheit, aber Familienmitglieder des Angeklagten hatten ihn bei der Polizei angezeigt und damit ein Verfahren nach den Gesetzen der Scharia in Gang gesetzt. Für Abdul Rahman fand sich schließlich eine diplomatische Lösung: Da er selbst unter Androhung der Todesstrafe nicht vom Christentum ablasse, könne er nur verrückt sein, beschied ein Richter und entließ den Gefangenen ins Ausland. Dies geschah auf der Grundlage des islamischen Rechts, das Strafminderung bei Geisteskrankheit vorsieht. Es war also keineswegs ein Sieg der Religionsfreiheit, sondern eine diplomatische Lösung als Folge des politischen Drucks aus Europa und Nordamerika. Ich frage mich nur, was gewesen wäre, wenn Abdul Rahman nicht das Christentum zur neuen Religion gewählt hätte, sondern öffentlich erklärt hätte, Atheist zu sein? Das Todesurteil wegen Apostasie wäre ihm sicher gewesen – aber der Protest deutscher Politiker? Hätte Angela Merkel die afghanische Regierung auch an »die
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