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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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Familien. Ich fühlte mich, als sei ich angekommen, angekommen unter Menschen, die die Trennung von Staat und Kirche als Grundlage einer freien und aufgeklärten Gesellschaft sahen und die in keiner Weise kulturrelativistisch dachten.
    Auf dieser Tagung begegnete ich das erste Mal dem Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung, Michael Schmidt-Salomon. Ihn traf ich ein halbes Jahr später wieder, auf einem Arbeitstreffen islamkritischer Säkularisten, zu der mich der Bielefelder Sozialwissenschaftler und Autor Hartmut Krauss eingeladen hatte. Mit ihm sprach ich über seine Idee einer kritischen Islamkonferenz, denn die Pläne von Innenminister Schäuble, sich mit den Vertretern der islamischen Verbände zwecks »Integration der Moslems« an einen Tisch zu setzen, waren schon spruchreif geworden. Ich zweifelte, ob dort Platz für die Meinung von Atheisten und Säkularisten sein würde. Diese Zweifel äußerte ich auch auf dem Säkularisten-Arbeitstreffen, welches in Osnabrück stattfand. Zufällig fuhr ich im selben Zug zurück nach Köln wie Michael Schmidt-Salomon. Ich erzählte ihm, wie wenig die Position nichtgläubiger Muslime in der deutschen Öffentlichkeit Gehör finden würde und wie die Islamverbände kritiklos als einzige Ansprechpartner in Sachen Integration von Menschen aus Ländern, in denen der Islam die verbreitetste Religion ist, gesehen würden. Ihm war das nicht neu, und in unserem Gespräch meinte er plötzlich: »Man müsste die Medien wachrütteln. So wie in den 70ern die Feministinnen mit ihrem Slogan ›Ich habe abgetrieben‹.« Daraus sponnen wir die Idee, parallel mit dem Slogan herauszukommen: »Wir haben abgeschworen«! Zudem könnten wir dem medienpräsenten Zentralrat der Muslime einen Zentralrat der Ex-Muslime entgegensetzen. Mir fielen auf Anhieb rund ein Dutzend Exil-Iranerinnen und -Iraner ein, bei denen ich mir vorstellen konnte, dass sie sofort und begeistert mitmachen würden. Michael überlegte, wie er für die Idee in der türkischen Community werben könne. Die erste Islamkonferenz war schneller als wir. Innenminister Schäuble bezeichnete seine Gesprächspartner beim ersten Treffen am 27. September 2006 unhinterfragt als Vertreter der 3,5 Millionen Muslime in Deutschland. Wieder wurde ich mitgezählt.
    Auch ich tagte weiter – im Oktober 2006 nahm ich, unter anderem zusammen mit Gisela Notz, der Vorsitzenden von Pro Familia, an einer Podiumsdiskussion zum Thema »Let’s talk about Sex« im Rahmen der Jahrestagung des Internationalen Bundes der Atheisten teil. Diesmal war es eine andere Frau aus dem Publikum, die sich engagiert in die Debatte einbrachte. Es war Arzu Toker, Schriftstellerin und Übersetzerin, in der Türkei geboren und lange Jahre im Rundfunkrat des WDR tätig. Ich ging nach der Veranstaltung auf sie zu und erzählte ihr von der Idee der Kampagne »Wir haben abgeschworen«. Sie hatte schon davon gehört und sagte, dass sie vor allem auf diese Veranstaltung gekommen sei, um mich kennenzulernen.
    Auf dem Podium hatte ich mit Feministinnen gesessen, die von der Geschichte des § 218 erzählten. »Ich habe abgetrieben« – der Stern -Titel vom Juni 1971 war ein Meilenstein in ihrem Kampf für ein liberales Abtreibungsrecht gewesen. Debatten mit den Kirchen, konservativen Politikern, die Änderungen nach der Wende, alles schien mir interessant zu sein – aber keineswegs das, was mir zu »Let’s talk about sex« einfiel. Also meldete ich mich nach einiger Zeit zu Wort und bat darum, etwas Persönliches erzählen zu dürfen. Natürlich durfte ich. »Ich bin in einem Land aufgewachsen, in dem die Religion Sexualität zum Teufelsthema gemacht hat. Und Frauen zu Trägerinnen dieser teuflischen Verlockung für den Mann. Ich musste mich mit zwölf in einen Tschador hüllen, wenn ich in meinem Dorf auf die Straße ging, um die Männer nicht mit dem Anblick meines Körpers ins Verderben zu stürzen. Sexualität reduzierte sich auf die Erhaltung der Jungfräulichkeit bis zur Hochzeitsnacht. Lustempfinden für die Frau war nie ein Thema. Hingabe, um Söhne zu gebären, das war die Sexualität, die Frauen zugestanden wurde. Es gab unter dem Schah in den großen Städten vorsichtige Annäherungen, zarte Flirts. Das alles ist seit der Revolution 1979, nachdem die Religiösen die Macht übernommen haben, wieder zunichte gemacht, heute sind die Frauen in ihrer Sexualität noch unterdrückter, als ich es früher war. Ihr Körper gehört nicht ihnen, sondern dem Ehemann.

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