Ich habe abgeschworen
Lebensfreude ganz dem Kampf verschrieben zu sein. Die traditionellen Rollenbilder von Frau und Mann blieben weitgehend unangetastet, selbst als Frauen auch an Waffen ausgebildet wurden. Ich mochte zwar kein »Partygirl« sein, aber ich hatte Freude an schöner Kleidung, und ab und an legte ich gerne Make-up auf. Bei Fedayi-Frauen war so etwas verpönt. Entscheidend für meine Distanz war aber ihre Idee des Guerillakampfes. Ich fand, man sollte mit den Arbeitern und Menschen reden, zu ihnen gehen und sie überzeugen. Heimlich lasen Susan und ich das Kapital von Marx, eine kleine Ausgabe auf Persisch wurde von Hand zu Hand gereicht und war schon völlig zerknittert, als ich das Werk in die Hände bekam.
Einmal verliebte ich mich ein bisschen in einen Kommilitonen, er war Volksmudschaheddin. Er studierte auch Medizin, und wir gingen regelmäßig zu zweit spazieren. Sowohl bei den Volksmudschaheddin als auch bei den Linken war es ein Tabu, der Sehnsucht nach körperlicher Berührung nachzugeben. Sie flirrte in der Luft zwischen uns auf jedem Spaziergang, doch wir haben nicht einmal darüber geredet.
Man hat geheiratet, bevor man mit jemandem zusammen war, das hatte ich verinnerlicht. Dass ich als Jungfrau in die Ehe gehen würde, war einfach keine Frage. Einen Freund wollte ich haben, mit einem Jungen alleine sein dürfen, zum Reden, auch um ein bisschen zu flirten. Über mehr nachzudenken hatte ich mir verboten. So diskutierte ich mit meinem Gefährten über Religion und Politik, und wir stritten viel über unsere verschiedenen Ansichten. Zwei Semester währte unsere Spazierliaison, dann haben wir uns aus den Augen verloren. In Europa hörte ich, dass er nach der Revolution, Mitte der 80er-Jahre, als Volksmudschaheddin verhaftet und hingerichtet worden war.
Gemeinsam mit Susan suchte ich Kontakt zu verschiedenen kommunistischen Gruppierungen. Anders als im Westen war die Opposition gegen den Schah natürlich geheim – und Entdeckung lebensgefährlich. Das erfuhr ich am eigenen Leib, als mich ein ehemaliger Chemielehrer aufsuchte, von dem schon an der Schule alle flüsterten, dass er politisch in der Opposition aktiv sei. Niemand wusste genau, welcher Gruppierung er angehörte, aber es war eine radikale, so wurde gemunkelt. Er hieß Ali Djabari. Als ich schon einige Monate in Tabriz lebte, suchte er mich auf und fragte, ob ich Interesse hätte, mit ihm eine Woche nach Teheran zu gehen, um seine Organisation und ihre Arbeit kennenzulernen. Ich war wie immer neugierig und machte mir keine Gedanken, ob das gefährlich sein könnte – und sagte Ja. So fuhr ich mit ihm nach Teheran. Ich ging mit in eine geheime Wohnung dieser Gruppe. Sie hatten sich von den Volksmudschaheddin getrennt und in Richtung einer marxistischen Organisation entwickelt. Ali Djabari schärfte mir als Erstes ein: »Wenn du von der Geheimpolizei des Schahs festgenommen wirst, dann darfst du nichts über uns sagen.« Spätestens jetzt wusste ich, eine Verbindung zu dieser Gruppe wäre Grund für ein Todesurteil.
Es waren nur drei Männer in der Wohnung, die Organisation bestand aus kleinen Zellen, die sich untereinander nicht kannten. Nur wenige Verbindungsleute hielten den Kontakt der Zellen zur Führung. So war die Möglichkeit, etwas unter Folter zu verraten, am geringsten. Wer die Wohnung verließ, versteckte eine Pistole unter seiner Jacke und trug eine Kapsel mit Gift bei sich, die er schlucken wollte, wenn er verhaftet würde. Alle drei Männer, auch Ali Djabari, sind noch unter dem Schah-Regime ermordet worden.
Als ich nach einer Woche zurück nach Tabriz fahren wollte, gab es eine Szene, die sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt hat. Ich war erst 20, und Ali Djabari und ein Mann mit dem Namen Nabavi Nourie hatten mich zum Bus gefahren und an der Haltestelle abgesetzt. Ich wollte schon einsteigen, da kam mein Lehrer zurück und war sehr nervös, und dann sah ich Blut an seiner Jacke. Ich fragte erschrocken, was los sei, und er sagte, dass ein Geheimpolizist sie angehalten und ihnen befohlen habe, zur nächsten Polizeistation zu fahren. Da hätten sie geschossen – der Polizist war tot. Er ermahnte mich, nie zu erwähnen, dass ich in Teheran gewesen sei oder ihn und seine beiden Freunde kennen würde. Ich stieg benommen in den Bus und fuhr wie in Trance nach Tabriz. Ich hatte Angst, jeden Moment würde der Bus angehalten und Männer des Savak würden einsteigen, um mich herauszuholen und zu verhaften. Aber nichts passierte, auch wartete
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