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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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Geratene.« Sie setzten sich mir gegenüber: »Sind Sie Frau Ahadi?«, fragte einer, was ich bestätigte. Einer der Riesen übernahm das Gespräch und fragte: »Wo ist Ihre Geburtsurkunde?« Ich sagte: »In meinem Schrank in meinem Zimmer.« »Nein«, sagte er, und ich wurde etwas ruhiger – es ging nicht um meine Reise nach Teheran. »Wir haben Ihre Geburtsurkunde in einer Geheimwohnung der Fedayi gefunden.« Ich war ehrlich erstaunt. »Ich weiß nicht wieso«, entgegnete ich. Schließlich kam heraus, dass ihrer Meinung nach eine Mitbewohnerin im Studentenwohnheim meine Urkunde für die Fedayi gestohlen hatte. Die Fedayi suchten immer nach Urkunden, um falsche Ausweispapiere für Leute im Untergrund herzustellen. Der Verhörton blieb höflich, ich leugnete Kontakte zur Fedayi, und mein Gegenüber meinte, er wisse, dass ich nicht in der Fedayi aktiv sei, aber ich ging ja mit Mitgliedern der Gruppe wandern, dann könne ich ihnen ab nun immer berichten, welche politischen Pläne auf den Wanderungen geschmiedet würden. Es konnte mich nicht überraschen, dass sie Kenntnis von unseren Wanderungen hatten. Diese machten wir, meist sechs bis zwölf Menschen aus verschiedenen linken Gruppierungen, samstäglich in die Berge bei Tabriz. Wandern war so beliebt, weil man in der Natur ungestört reden konnte, nicht zuletzt über Politik. Trotzdem erschütterte mich die Erkenntnis, dass diese fremden Menschen hinter uns herspioniert hatten, körperlich. Mein Magen zog sich zusammen, als ich sagte, dass ich aus einer armen Familie auf dem Land käme und von meiner Mutter so erzogen sei, fleißig zu lernen, damit ich Ärztin werden könne. Meine Mutter würde nicht erlauben, dass ich politisch tätig würde, ich könnte keine Berichte abliefern. »Doch, Sie machen das«, sagte er, immer noch höflich, aber mit einem bedrohlichen Unterton. Ich sagte noch einmal Nein, er sagte noch einmal, ruhig und sehr bestimmt: »Doch, Sie machen das. Sie werden ab sofort einmal die Woche Bericht erstatten.« Ich wurde nicht geschlagen, aber ich wusste, ich hatte keine Garantie, dass ich aus diesem Zimmer je wieder herauskommen würde, und so schwieg ich. Die Bedrohung war greifbar, allein die Anwesenheit der fünf Männer mit mir in einem Raum, aus dem sie mich nicht lebend herauslassen mussten, machte die ernsthaften Folgen, die meine fortgesetzte Weigerung unweigerlich mit sich bringen würde, greifbar. Die Klammer legte sich noch fester um meine Brust, und ich fragte mit belegter Stimme: »Wie?« Ich bekam eine neue Telefonnummer und die Anweisung, den Gesprächsführer einmal die Woche anzurufen. Ich stimmte dem zu, und obwohl ich wusste, dass ich kaum etwas anderes hätte machen können, fühlte ich mich schuldig und feige. Ich rief später am Tag meinen Chemielehrer an und berichtete ihm vor allem, dass die Polizei nichts von meiner Woche in Teheran erfahren hatte. Er sagte, falls ich das Gefühl bekommen würde, sie wüssten doch davon, sollte ich mich sofort melden, und er würde mir helfen, unterzutauchen. Das war das letzte Mal, dass ich mit ihm gesprochen habe.
    Ich meldete mich ab diesem Zeitpunkt einmal wöchentlich telefonisch bei der Geheimpolizei und erzählte, dass nichts passiert sei und ich keine politischen Gespräche gehört hätte. Einen Monat nach meinem Verhör war ich ein paar Tage in Abhar und rief nicht an, ich wollte meine Mutter nicht beunruhigen. Ich aber war sehr unruhig, was würde passieren? Würde ich verhaftet werden, sobald ich zurück nach Tabriz käme? Zwar wartete kein Polizist auf mich, aber als ich in der darauffolgenden Woche anrief, schimpfte mein Gesprächspartner: »Warum haben Sie sich letzte Woche nicht gemeldet?« »Ich war bei meiner Mutter und wollte ihr keine Angst machen. Wir haben dort kein Telefon außer dem in der Poststation, wo alle im Raum den Anruf mithören. Außerdem habe ich wieder keine politischen Aussagen erlauscht.« In den nächsten Jahren meldete ich mich erst wöchentlich, dann weniger und schließlich noch einmal im Monat. Ich habe nie jemandem davon erzählt und hatte Angst, Susan und meine politischen Gefährten würden mich bei Entdeckung als Verräterin brandmarken. Das war natürlich Sinn der Sache: Der Savak versuchte, möglichst viele Leute in die Angst vor dem Verrat zu treiben und die linke Opposition so von innen zu schwächen. Dass ich keine Informationen lieferte, war eher nebensächlich. Ich war in einer Diktatur groß geworden, es gab immer irgendetwas, was man

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