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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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verstecken musste, das gehörte einfach zum Leben dazu. Vor Beginn der Revolution Ende 1978 hörte ich schließlich auf mit den Meldungsanrufen, im allgemeinen Chaos entstanden Schlupflöcher. Doch ich hatte mit Anfang 20 gelernt, mit der Angst vor Verhaftung und Ermordung zu leben und zu versuchen, so weit mit dem Geheimdienst zu kooperieren, dass mir mein Leben blieb, ohne jedoch etwas über meine Genossinnen und Genossen zu erzählen. Später, im Exil, merkte ich schnell, dass viele Oppositionelle im Iran vom Savak auf diese Weise benutzt worden waren. Die Folterknechte der Mullahs zwangen viele ihrer Gefangenen vor laufender Kamera, ein »Geständnis« abzulegen und sich selbst als Verräter zu beschimpfen – die Gebrochenen suchten später oft die Schuld bei sich statt bei ihren Folterern. Ein Phänomen, das in der ganzen Welt zu beobachten ist. Nicht wenige brachten sich später um, aus falscher Scham und gefangen in den Erinnerungen an die erlittenen Qualen. Deshalb ist diese Vorgehensweise ja auch bis heute ein beliebtes Mittel von Folterknechten weltweit.
    Ich erwähnte schon, dass Susan und ich uns einer marxistisch orientierten Gruppe anschlossen, die die Arbeiter an der Basis erreichen wollte. Deshalb arbeiteten wir neben dem Studium in der Fabrik. Auch wohnte ich teilweise mit Susan in einer Wohnung in einem Arbeiterviertel. Die Revolution kommt durch Bewusstseinsbildung bei den Massen in Gang, so war die Idee. Susan und ich standen mehrmals wöchentlich am Fließband in einer Nähfabrik. Tabriz war eine Studentenstadt, viele Leute vermieteten an Studenten ein Zimmer. Man hat dann mit der Familie gelebt, oft war in einem Raum die Familie mit fünf, sechs Leuten, und wir hatten zu zweit das andere Zimmer. Ein Zimmer zu bekommen war einfach, eine polizeiliche Anmeldung gab es nicht. Die Miete, rund 80 Tuman, haben wir monatlich bar bezahlt, von den 500 Tuman, die wir als Studenten im Monat als eine Art Studienstipendium erhielten. Manchmal haben wir sogar mit der Familie, bei der wir wohnten, gegessen. Alle paar Monate wechselten wir die Unterkunft. Wir haben später auch mit Männern der Organisation zusammen gewohnt, offiziell waren wir dann ein Ehepaar. Diese Wohngemeinschaften waren sehr keusch, auch die Linken waren durch die religiöse prüde Erziehung geprägt.
    Arbeiten in der Fabrik war eine Strategie vieler linker Gruppen, beseelt von der Möglichkeit, im direkten Kontakt den Arbeiterinnen und Arbeitern Marx nahezubringen, ihnen damit die Augen zu öffnen und so ihren Aufstand zu entfachen. Doch in der Fabrik waren wir Außenseiterinnen und sind es immer geblieben. An unserer ganzen Haltung, wie wir uns bewegten, wie wir gingen, haben die Arbeiter sofort gesehen, dass wir keine »von ihnen« sind. Wir mussten während einer Acht-Stunden-Schicht (früh oder spät) vier bis fünf Stunden ohne Pause am Produktionsband stehen und immer wieder dieselben Handgriffe machen. Es war laut, in der Halle arbeiteten 60 Leute, und die Arbeit mit den Textilballen war körperlich sehr anstrengend. Auch durfte man außerhalb der offiziellen Pausen stundenlang nicht zur Toilette, was mir manches Mal zur zusätzlichen Qual wurde. Später habe ich in einer Cola-Fabrik gearbeitet, in einer noch größeren Halle mit über 200 Leuten. Dort war ich dafür zuständig, die frisch abgefüllten Flaschen auf Verunreinigungen zu untersuchen und solche mit Dreck und Fremdstoffen vom Band zu holen. Die Arbeiterinnen, die nicht wegen irgendwelcher marxistischen Ideen in der Fabrik arbeiteten, waren alle sehr arme Frauen, die die pure Not ans Fließband gebracht hatte. Intellektuelle Frauen in der Schah-Zeit konnten problemlos als Ärztin oder Lehrerin arbeiten. Frauen aus der Unterschicht waren dagegen gezwungen, in der Fabrik zu sein, statt sich auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter beschränken zu können. Auch sie selbst sahen das meist so und empfanden ihre Arbeit nicht als Schritt hin zu mehr Selbstständigkeit. Es war oft auch ein Problem für den Ehemann, der offensichtlich nicht in der Lage war, seine Frau zu ernähren, wie es seine Rolle vorsah.
    Die Arbeit in der Fabrik habe ich auch im Jahr nach der Revolution beibehalten, ich habe davon gelebt, als Studieren nicht mehr möglich war. Mit dem Politisieren der Proletarier hat es aber bis zum Schluss nicht geklappt. Ich habe einmal versucht, einen alten Mann, der schon 25 Jahre am Fließband stand, zu einem Streik für besseren Lohn zu überreden. Wenn er der

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