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Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
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Familienoberhaupt fühlte, war wütend, er hielt das Studium für Mädchen für überflüssig. Doch meine Mutter setzte sich durch und fuhr eines Tages mit mir nach Tabriz, wo ich mich an der Uni einschrieb und ein Zimmer im Studentinnenwohnheim mietete. Das teilte ich mit einer Zimmergenossin, die meine beste Freundin werden sollte – Susan. Sie kam aus einer reichen Teheraner Familie, ihr Vater war Apotheker, ihre Brüder waren Ärzte. Ich fuhr ein Jahr später einmal mit zu ihren Eltern zu Besuch. In ihrem großen Haus erwartete uns auch ein kleiner Pudel. Im Iran hatten Leute keine kleinen Hunde nur zur Zierde, ich sah das zum ersten Mal. Es gab Wein zum Essen, und sie hatten ein Dienstmädchen, Fatima. Susan freundete sich als Jugendliche mit Fatima an, die nur wenige Jahre älter war als sie. Ihre Mutter sah nicht gerne, wenn sie mit dem Dienstmädchen Staub wischte – denn spielen durfte Fatima natürlich nicht. »Ich fand es ungerecht, wie wenig ich tun musste und wie viel Fatima, die nie die Chance gehabt hatte, eine Schule zu besuchen.
    Deshalb begann ich mich für die Arbeiterklasse und den Marxismus zu interessieren«, erzählte mir Susan. Ihre Mutter schlug das Dienstmädchen auch schon mal, wenn sie ihrer Meinung nach nicht schnell genug arbeitete, das war für ein iranisches Dienstmädchen nichts Ungewöhnliches. Fatima lebt noch im Iran, sie und Susan, die inzwischen in Schweden lebt, haben weiterhin Kontakt und telefonieren alle paar Wochen miteinander.
    Eines Tages war es so weit – ich fuhr allein nach Tabriz, um mein Studium aufzunehmen. Meine Mutter und Sohrab brachten mich zur Schnellstraße, die an unserem Dorf vorbeiführte. Irgendwann kam ein Bus Richtung Tabriz, den musste man nur an den Rand winken, damit er anhielt. Die Fahrt in die Millionenstadt dauerte sieben Stunden.
    Meine Zimmergenossin Susan kam erst einen Tag später, so war ich nervös und unsicher, wie ich mich verhalten sollte. Tabriz war eine große Stadt, es ging vielleicht nicht so liberal zu wie in der Hauptstadt Teheran, aber Frauen in westlicher Kleidung, die in Cafés saßen und mit Männern redeten, waren auch hier zu sehen. Dennoch war ich so verunsichert in der neuen Umgebung, dass ich es fast wie in der Schulzeit machte: Ich überlegte lange, ob ich im Tschador zur Uni gehen sollte. Schließlich entschied ich mich für einen Kompromiss: Ich ging mit Kopftuch. In der Universität angekommen, bemerkte ich, dass es hier keine Schubladen gab, um einen Tschador für die Unterrichtszeit zu verstauen. Es waren nur sehr wenige Studentinnen mit einem solchen Umhang verhüllt. Einige gingen allerdings mit Kopftuch. Prompt sprach mich eine Vertreterin der Volksmudschaheddin an, denn es waren vor allem ihre weiblichen Mitglieder und Sympathisantinnen, die Kopftücher trugen. Ich ging dann mit zu einer ihrer Versammlungen, doch der Raum voller Frauen, die mit verhülltem Kopf einem Vortrag lauschte, wie der Islam die Revolution bringen würde, stieß mich ab. Wieder sollte ich mich auf Gott verlassen, sogar in der Revolution? Denn dass es einer Revolution bedürfe, davon war ich überzeugt. Einer Revolution, um das Schah-Regime zu stürzen und den iranischen Menschen die Freiheit und die Möglichkeit zu bringen, sich zu entwickeln und zu Selbstbestimmung zu gelangen. Dazu brauchte es Zeit, Bildung für alle und auch eine gerechte Verteilung des Reichtums.
    Wie auch im Westen, waren an den Universitäten des Iran in den 70er-Jahren verschiedene marxistische Gruppen aktiv. Die größte dieser Gruppen waren die Fedayi. Als geheime Organisation gegen das Schah-Regime 1970 gegründet, verfolgten sie eine Art islamtoleranten Marxismus. In erster Linie waren die Fedayi in der Ausrichtung antiimperialistisch. Diese Haltung bewog die große Mehrheit der Organisation später, nach der islamischen Revolution, das amerikafeindliche Mullah-Regime zu unterstützen, bis die Mitglieder der Fedayi selbst Mitte der 80er-Jahre durch das Regime verfolgt und ermordet wurden, ebenso wie vorher die Kommunisten und nach ihnen die Anhänger der Volksmudschaheddin. Weder ich noch Susan, mit der ich in politischen Fragen weitgehend übereinstimmte, fühlten uns bei den Fedayi wirklich wohl, sodass wir nie beigetreten sind. Zum einen fand ich deren Überzeugung, Attentate auf hohe Persönlichkeiten des Schah-Regimes würden das Volk aufrütteln und zu einem Aufstand führen, falsch. Zum anderen waren die Mitglieder sehr streng, sie schienen mir oft ohne

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