Ich habe abgeschworen
an, zu dem ich nun täglich mit dem Bus fuhr. Schon in den ersten Tagen schrieb ich meiner Mutter, auch angerufen habe ich sie bald, ich war überglücklich, ihre Stimme nach zehn Jahren wieder einmal zu hören. Auch die Schwester meines ersten Mannes erreichte ich am Telefon, endlich konnte ich zumindest für Minuten mit Menschen sprechen, die mich kannten. Sie waren froh, dass ich in Sicherheit war. Beim Telefonieren war die Sehnsucht, meine Mutter in die Arme schließen zu können, fast unerträglich, aber ich riss mich zusammen, um nicht zu weinen. Bei ihr aber flossen die Tränen, und ich versuchte, sie damit zu trösten, dass ich in Sicherheit war.
In Wien gab es einige Leute von der Komalah, mit denen ich Kontakt aufnahm, aber dennoch war es eine einsame Zeit. Ich versuchte, mich aufrecht zu halten für mein Baby. Doch all die Strapazen forderten ihren Tribut, und nach sechs Monaten Schwangerschaft teilte mir der Arzt mit, dass das Kind entschieden zu klein sei und es mit einem Kaiserschnitt geholt werden müsse, weil die Gefahr bestünde, dass es sonst sterbe. Ich bekam große Angst. Es schmerzte mich, diese Angst um mein Kind mit niemandem teilen zu können.
Keinesfalls wollte ich in dieser Situation in dem kleinen Dorf bleiben, die medizinische Versorgung schien mir nur in einer großen Stadt gesichert zu sein. So bin ich ohne Erlaubnis nach Wien gefahren, ging direkt ins Hauptamt für Flüchtlinge und sagte, dass ich in Wien bleiben wolle.
Die Sachbearbeiterin schüttelte den Kopf und sprach in strengem Ton mit mir. Ich verstand noch zu wenig Deutsch, um ihre Sätze zu verstehen, doch der Inhalt der Botschaft war überdeutlich: Nein, nein, nein. Ich verstand nicht, weshalb man mir nicht half, mich in den Alltag in Österreich einzufinden – um mir dann böse zu sein, dass ich zur Bittstellerin wurde. Empört sammelte ich meine paar Brocken Deutsch zusammen und sagte, dass sie mit mir nicht so rassistisch umgehen könne.
Ich sagte: »Ich stehe hier, ich bleibe hier. Ich gehe nicht wieder zurück.« Meine Beharrlichkeit zeigte schließlich Wirkung. Vermutlich war es einfacher, auf mich einzugehen, nur als Einzelfall natürlich und weil ich schwanger war, als sich mit weiterem Protest auseinandersetzen zu müssen. Ich bekam einen Platz in einem Flüchtlingswohnheim im Zentrum von Wien. Dort hatte ich nun sogar ein Zimmer für mich allein, sehr klein, aber nur für mich.
Ich werde Mutter und engagiere mich wieder politisch
Ein Arzt wies mich nach einer weiteren Untersuchung in ein Krankenhaus ein. Dort wurde mir noch einmal gesagt, dass man das Kind wegen der geringen Größe per Kaiserschnitt holen müsse.
Meine erste Tochter Anita kam also per Kaiserschnitt zur Welt und wog nur 1400 Gramm. Als ich nach dem Eingriff erwachte, kam eine iranische Ärztin zu mir und erklärte, dass meine Tochter lebte, aber sehr klein und schwach sei und deshalb erst einmal im Krankenhaus unter Beobachtung bleiben müsse. Auch ich musste noch zwei Wochen bleiben, der Kaiserschnitt hatte mich sehr geschwächt. Ich sah meine Tochter erst nach ein paar Tagen, als man mich in einem Auto zu ihr brachte, denn sie lag in einem Kinderkrankenhaus. Sie war so klein, strampelte und weinte. Es ging mir tief ans Herz, dieses kleine Geschöpf zu sehen. Sie war so verletzlich, so abhängig von meiner Zuwendung und Liebe. Ich hatte ein bisschen Angst, als ich sie das erste Mal in den Arm nahm, so zerbrechlich wirkte sie.
Als ich gefragt wurde, wie das Kind heißen solle, sagte ich »Anita«. Dann wurde ich nach dem Familiennamen gefragt. »Ahadi«, sagte ich. »Wie heißt Ihr Mann?«, fragte die Schwester mich. »Er heißt Mohammad Asangaran, aber das Kind soll wie ich heißen.« Mir wurde gesagt, dass das nicht ginge, ich käme aus dem Iran, und nach dem islamischen Gesetz müsse das Kind den Namen des Familienoberhauptes haben, und das sei der Mann. Ich sagte: »Ich bin aus dem Iran geflüchtet, weil ich diese Gesetze nicht akzeptiere. Diese Gesetze respektieren mich nicht als Person!« »Sie sind Iranerin, und deshalb gelten diese Gesetze für Sie!« Ende der Diskussion, meine Tochter bekam den Familiennamen meines Mannes. Ich wurde ein paar Tage vor Anita entlassen und versuchte, ein Kinderbett im Lager aufzutreiben. Das gelang mir mit Hilfe einer Sozialarbeiterin, und so erwartete meine Tochter unser kleines Zuhause, als ich sie aus dem Krankenhaus holte. Nun stand ich als Mutter allein mit einem kränklichen Kind von vier Pfund,
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