Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich habe abgeschworen

Ich habe abgeschworen

Titel: Ich habe abgeschworen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Ahadi , Sina Vogt
Vom Netzwerk:
lebte in einem fremden Land in einem Flüchtlingswohnheim. Die Kleine war sehr unruhig und hat viel geschrien. Ich habe all meine Kraft auf mein Kind konzentriert, um durchzuhalten, fühlte mich aber oft wie kurz vor dem Zusammenbruch. Endlich, als Anita fast sechs Monate alt war, kam mein Mann in Wien an. Überglücklich schlossen wir uns in die Arme, und voller Verwunderung sah er seine kleine Tochter, seine beiden zähen Frauen, wie er sagte. Ein halbes Jahr lang hatten wir uns geschrieben, zwei Wochen dauerte ein Brief, aber durchgehalten hatte ich nicht zuletzt in der Hoffnung auf dieses Wiedersehen.
    Anita erholte sich schließlich gut und erreichte bald Normalgewicht. Ich versuchte, mein Leben zu normalisieren und wieder zu Kräften zu kommen. Aber auch zu zweit blieb unsere Lebenssituation schwierig, mit einem kleinen Kind ohne Geld. Im Wohnheim bekam man Essen, aber sehr wenig Geld. Das Essen vertrug ich nicht gut, und ich hatte keine Milch zum Stillen. Die Verwaltung gab mir keine Milch extra für das Kind, das war nicht vorgesehen, die hätte ich schließlich selbst. Also musste ich Milch kaufen, und dafür brauchte ich Geld. Ich bat meine Familie im Iran darum, und mein Mann tat dasselbe. Er hatte schon etwas Geld von seiner Familie geschickt, als er noch in Kurdistan gewesen war.
    Mein Asylantrag war kurz nach der Geburt von Anita bewilligt worden, seiner einige Monate später. So konnten wir endlich eine Wohnung und Arbeit suchen. Als wir dann in eine eigene kleine Wohnung umzogen, fühlte ich mich langsam angekommen in Europa. Zum einen war unser rechtlicher Status geklärt, wir durften als anerkannte Flüchtlinge bleiben. Fast größer war die psychische Entlastung. Mit dem Status »Asyl anerkannt« wurde uns nicht mehr ständig Misstrauen entgegengebracht, ob wir nicht nur Betrüger seien, die nicht in Not geflohen, sondern einfach ein Leben im Schlaraffenland gesucht hätten.
    Nun bekam ich auch wieder den Kopf frei für politisches Engagement. Anfang 1992 sah ich ein Plakat für eine Veranstaltung am 8. März, den internationalen Frauentag. Keine Frage, dass ich dorthin ging.
    In einem Veranstaltungsraum, der an ein Klassenzimmer erinnerte, waren gut 100 Frauen. Obwohl ich immer noch sehr wenig Deutsch und den Vorträgen nicht wirklich folgen konnte, bin ich aufgestanden, habe mich vorgestellt und geredet. »Ich komme aus dem Iran«, sagte ich und erzählte von der Situation der Frauen dort unter dem islamischen Regime. Ich wusste nicht, wie die Zuhörerinnen meine Rede gefunden hatten, es wurde zwar Beifall gespendet, aber die Reaktionen waren zurückhaltend. Ich kannte die österreichische Mentalität nicht gut genug, um den Grad des Interesses am Beifall abschätzen zu können. Nach der Veranstaltung kam die Organisatorin auf mich zu und dankte mir für meine gute Rede. Sie gab mir eine Adresse, es war die des Büros ihrer Organisation gegen Gewalt gegen Frauen, und sie stellte sich vor: Rosa Logar. Mit dieser Begegnung begann meine politische Arbeit für Frauen- und Menschenrechte in Europa. 1993 fand die Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen in Wien statt. Rosa Logar, heute Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie und Mitbegründerin des ersten Frauenhauses in Österreich (1978), Vorsitzende des »Vereins autonome österreichische Frauenhäuser« und Mitbegründerin des »Europäischen Netzwerks gegen Gewalt an Frauen« (WAVE) und aktive Kämpferin für die Rechte aller Frauen, nahm mich mit. Die Tochter von Ayatollah Taleghani, Azam Taleghani, sprach über die Rechte der Frauen im Iran und wie gut der Islam zu ihnen sei. Sie bezeichnete sich als Oppositionelle, im Tschador lobte sie den Islam und die Rolle, die er der Frau als der »anderen« zugestehe. Ich habe mich sehr aufgeregt und fragte sie nach den Massenhinrichtungen 1980, denen auch mein Mann zum Opfer gefallen war.
    Kurz darauf sprach ich auf einer Flüchtlingskonferenz, wo ich erzählte, wie ich im Iran gegen das Regime gekämpft hatte. Dieses unmenschliche, frauenfeindliche islamische Regime hatte mich töten wollen. »Ich habe im Iran für die Frauenrechte, die Menschenrechte, gegen die Todesstrafe gekämpft. Deshalb bin ich verfolgt worden, und deshalb bin ich nun in Österreich. In Österreich wusste man das und behandelte mich als Fall für die Bürokratie der Ausländerbehörden. Das ist keine menschliche Flüchtlingspolitik. Niemand kann sagen, er wisse nicht Bescheid, jeder

Weitere Kostenlose Bücher