Ich habe abgeschworen
Toilette zerrissen und weggespült. In Wien nahm uns die Polizei natürlich sofort wegen der fehlenden Ausweise fest. Die Polizisten waren höflich, diesen Teil der Flucht hatte ich mir schlimmer vorgestellt. Wir wurden in einen abgeschlossenen Bereich für Flüchtlinge gebracht, eine Frau kam und erklärte uns die Situation in Englisch. Sie sagte auch, dass es häufiger vorkäme, dass Flüchtlinge ohne Papiere hier ankamen. Wir verständigten uns mehr schlecht als recht in Englisch, was keiner von uns vieren gut konnte. Aber als klar wurde, dass wir aus Kurdistan kamen, brachte man uns einen Dolmetscher, der Kurdisch sprach. Wir mussten zwei Tage in diesem abgeschlossenen Bereich bleiben und wurden befragt. Es war eng in diesen Räumen, von denen einige als Schlafzimmer dienten. Aus Sicherheitsgründen gab es Tageslicht nur durch wenige Schlitze weit oben in den Wänden, und es stank nach den Ausdünstungen der unzähligen Menschen, die hier schon hoffend und bangend festgehalten worden waren. Wir bekamen Besuch von einem Mitglied einer iranischen Flüchtlingsorganisation und einer Frau von den Grünen. Die Grenzpolizei befragte uns ausführlich, vor allem zum Kampf in den kurdischen Bergen und zur Komalah.
Ich sah keinen Grund, etwas zu verheimlichen, denn weder mein Widerstand gegen Schah und Mullahs noch mein Leben mit der Komalah in Kurdistan schien mir falsch.
Nach zwei Tagen wurden wir nahe Wien in das Lager Traiskirchen verlegt. Dieses durften wir einen Monat lang nicht verlassen, aus Sicherheitsgründen, wie es hieß. Wir alle stellten Asylanträge.
Nach einem Monat wurden wir auf verschiedene Lager im ganzen Land verteilt. Ich kam in ein Flüchtlingslager vier Busstunden von Wien entfernt. Über 300 Menschen aus so unterschiedlichen Ländern wie Rumänien, Iran und Ghana lebten hier. Als ich ankam, wurde mir gesagt, es gäbe nur noch einen Schlafplatz für mich – mit drei Männern in einem Raum mit zwei Etagenbetten, zwei Iranern und einem Pakistani. So musste ich in einem Etagenbett unter einem Mann schlafen, zwei weitere Männer neben mir. Ich konnte kein Deutsch, ich war allein und erschöpft und traurig. In diesem Schlafraum kam ich nicht zur Ruhe, es war laut und roch unangenehm, und ich war eine Frau allein mit drei fremden Männern! Ich bin zwar gegen zwangsweise Geschlechtertrennung, aber das hieß noch nicht, dass ich in allen Lebenslagen mit fremden Männern auf engstem Raum eingepfercht sein wollte!
Gleich am ersten Tag wurde ich routinemäßig medizinisch untersucht. Dabei stellte der Arzt fest, dass ich schwanger war. Eine frohe Nachricht, denn ich hatte mir immer Kinder gewünscht, allerdings war in meinem bisherigen Leben daran nicht zu denken gewesen. Und nun, dem Krieg entronnen, war ich tatsächlich schwanger. Aber auch meine Schwangerschaft beeindruckte die Lagerleitung nicht genug, um mir einen Schlafplatz unter Frauen zu geben.
Nach einer Woche habe ich deshalb am Eingang einen großen Zettel aufgehängt, auf dem ich in Persisch meine Schlafsituation erklärte, und dass ich diese Zumutung nicht mehr aushielte. Menschen aus dem Iran kamen auf mich zu und stimmten mir zu. Schließlich bekam ich ein Bett in einem Zimmer mit einer anderen Frau. Hätte ich mich nicht gewehrt, hätte man mich vermutlich weiter allein mit drei Männern in einem Zimmer gelassen! Dabei war die sexuelle Belästigung von Frauen im Lager allgegenwärtig, vor allem abends verließen die – wenigen – alleinstehenden Frauen nicht mehr die Zimmer, einige der Männer tranken und wurden dann zudringlich.
Ich fühlte mich sehr unerwünscht von den Österreichern, abgelegt als »Fall« in einem Lagerbett. Dabei hatte ich vorgehabt, in Wien schnell eine Wohnung zu mieten und für meinen Lebensunterhalt arbeiten zu gehen, aber das durfte ich nicht. Stattdessen sperrte man mich mit 300 anderen in ein großes Haus über fünf Etagen und erlaubte uns nicht, uns frei zu bewegen. Wir konnten auf einen Fluss direkt vor dem Haus schauen, eine österreichische Bilderbuchlandschaft. Aber ich dachte nicht an Erholung und Schwimmen, sondern empfand den Fluss dort wie eine Aufforderung, sich hineinzustürzen und sich zu ertränken. Das war mein erster Gedanke, als ich ihn betrachtete – doch dann erwachte mein Kampfgeist wieder. Ich hatte nicht Verfolgung und Untergrund im Iran und zehn Jahre im umkämpften Kurdistan überlebt, um in einem österreichischen Fluss zu enden!
Stattdessen meldete ich mich zu einem Deutschkurs
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