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Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt

Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt

Titel: Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva;Buccieri Mozes Kor
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Jeden Tag von Neuem geschah etwas Schreckliches.
    Binnen zwei Wochen mussten Miriam und ich unsere Köpfe kahl scheren lassen. Wie alle Zwillinge in unserer Baracke waren wir von Kopfläusen befallen. Kopfläuse, so erfuhr ich, legen ihre Nisse auf Menschenhaaren ab. Und sie können von einem Kopf zum nächsten wandern. Der einzige Weg, sie loszuwerden, besteht darin, ein spezielles Haarwaschmittel oder eine chemische Behandlung anzuwenden und die Haare täglich mit einem engzinkigen Nissenkamm durchzukämmen. Wir hatten nichts von alledem, und so vermehrten sich die Läuse und verbreiteten sich von Mensch zu Mensch und weiter auf die Kleidung und die Bettwäsche – sie waren überall. Läuse und Flöhe nisteten in unseren Decken, in Strohmatratzen und Kleidern. Wir kratzten uns unaufhörlich. Selbst mit geschorenen Haaren hatten wir noch Läuse. Miriam und ich lasen sie uns ständig gegenseitig ab und versuchten, sie zwischen den Fingernägeln zu zerquetschen.
    Einmal pro Woche hatten Zwillinge das Privileg, duschen zu dürfen. Jede von uns erhielt ein Stück Seife. In dem riesigen Duschraum zogen wir unsere Kleider aus und legten sie auf einen Stapel, damit sie desinfiziert würden. Später erfuhr ich, dass die Chemikalie, die zur Desinfektion unserer Kleidung verwendet wurde, Zyklon B, eine der drei Chemikalien war, die zum Vergasen von Menschen in Auschwitz eingesetzt wurde. Die Nationalsozialisten kombinierten Zyklon B, das in graublauen Körnern geliefert wurde, mit Hydrogenzyanid und Diatomit und entwickelten daraus die chemische Mixtur für den Massenmord in den Gaskammern. Das Gas, in Verbindung mit brennendem Fleisch und Knochen, verursachte den Gestank, den ich schon am ersten Tag bemerkt hatte. Diesen Geruch kann kein menschliches Wesen je vergessen.
    Miriam und ich blieben nah beieinander. Wir waren immer beieinander. Bevor wir uns wuschen, stellten wir uns in einen Zuber mit weißlicher Flüssigkeit. Sie verätzte meine Beine und hinterließ rote Flecken. Manchmal rieben die Aufseherinnen auch unsere Köpfe und Gliedmaßen ab, und das Desinfektionsmittel brannte in meinen Augen. Vierzig oder fünfzig Zwillinge duschten gleichzeitig. Dr. Mengele wollte, dass wir sauber waren, und ließ seine Assistenten gelegentlich Versuche unternehmen, unsere Baracke zu reinigen. Dennoch kamen der Dreck und die Läuse aus dem Lager immer wieder zurück, und wir bemühten uns, damit fertig zu werden, so gut wir konnten.
    Einmal sahen wir ein paar Jungen in der Dusche. Ich erinnere mich, dass ich sie anschaute und dachte: »Wie mager sie sind. Ich bin froh, dass ich nicht so aussehe.« In Wirklichkeit sah ich wahrscheinlich genauso aus. Miriam ebenfalls. Ihre Augen waren eingesunken, und ich konnte jeden Knochen an ihrem Körper zählen. Aber ich fühlte mich nicht abgemagert und bemitleidenswert. Ich musste mich ja selbst als stark wahrnehmen.
    Dr. Mengele führte einen festen Programmablauf für uns ein. An drei Tagen in der Woche zwang man uns, zu den Laboren von Auschwitz zu marschieren, für intensive Untersuchungen, die uns entkräftet zurückließen. An weiteren drei Tagen waren wir in den Blutlaboren von Birkenau. Die Tage verschmolzen miteinander. Jeden Morgen nach dem Zählappell kam Mengele zur Inspektion in unsere Baracke. Lächelnd nannte er uns » meine Kinder«. Einige Zwillinge mochten ihn und nannten ihn Onkel Mengele. Ich nicht. Ich hatte Angst vor ihm. Selbst zu jener Zeit erkannte ich, dass er sich nicht wie ein wirklicher Arzt um uns kümmerte.
    An Dienstagen, Donnerstagen und Samstagen gingen wir ins Blutlabor. Miriam und ich setzten uns auf eine Bank, zusammen mit einem anderen Zwillingspaar. Jemand band unsere linken und rechten Oberarme mit dünnen, biegsamen Gummischläuchen ab. Zwei Leute beschäftigten sich gleichzeitig mit mir. Ein Arzt stach eine Nadel in meinen linken Arm und zapfte mir Blut ab. Er entnahm ein Röhrchen voll und stach mich dann erneut. Ich sah Hände, die hellrote Röhrchen mit meinem Blut wegnahmen. Ich weiß noch, dass ich mich fragte: »Wie viel Blut kann ich verlieren und trotzdem am Leben bleiben?« Unterdessen gab mir ein anderer Arzt eine Injektion mit irgendeiner Substanz in den rechten Arm. Er stach fünf Nadeln ein, ohne die erste zu entfernen. Was spritzte er mir in mein restliches Blut?
    Ich hasste Spritzen. Aber ich weigerte mich, Schmerzenslaute auszustoßen, weil die Nazis nicht wissen sollten, dass sie mir wehtaten. Ich schaffte das, indem ich den Kopf

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