Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt
die Baracke zurück und räumten auf. Die drei toten Kinder, die Miriam und ich in der Nacht zuvor in der Latrine gesehen hatten, lagen nicht mehr dort auf dem Boden. Wenn ein Mädchen starb, so erfuhren wir, ertrugen es die anderen Kinder aus demselben Etagenbett nicht, in der Nähe der Toten zu liegen, deshalb brachten sie die Leiche in die Latrine und behielten deren Kleider.
Was die drei Leichen betraf, die Miriam und ich gesehen hatten, so hatten die Erwachsenen sie zum Durchzählen wieder auf ihre Betten gelegt.
Jedes Kind musste jeden Tag gezählt werden, tot oder lebendig. Dr. Mengele wusste, wie viele Zwillinge er hatte, und keine Leiche durfte ohne genau geregelte Abläufe beseitigt werden.
An jenem ersten Morgen wartete eine SS-Wachfrau vor der Baracke. »DOKTOR MENGELE KOMMT!«, schrie sie. Das Aufsichtspersonal schien nervös und unruhig in Erwartung des bedeutenden Mannes. Miriam und ich standen in Habachtstellung und wagten weder uns zu bewegen noch zu atmen.
Dr. Josef Mengele betrat die Baracke. Er war elegant in eine SS-Uniform gekleidet und trug hohe, glänzend schwarze Reitstiefel. Er hatte weiße Handschuhe an und hielt einen Kommandostab in der Hand. Mein erster Gedanke war, wie gut er aussah, wie ein Filmstar. Er schritt durch die Baracke und zählte die Zwillinge in jedem Etagenbett, begleitet von einer Gefolgschaft aus acht Leuten. Später erfuhren wir, dass zu dieser Gruppe ein Dr. König gehörte, ein Mädchen, das als Dolmetscherin fungierte, sowie mehrere SS-Wachleute und Assistenten. Mengele wurde bei seinen Baracken-Visiten nie von weniger als acht Gefolgsleuten eskortiert.
Als Dr. Mengele bei den Pritschen stehen blieb, auf denen die drei Leichen lagen, bekam er einen Wutanfall. »Warum haben Sie diese Kinder sterben lassen?«, brüllte er die Pflegerin und die SS-Wachen an. »Ich kann es mir nicht leisten, auch nur ein Kind zu verlieren!«
Unsere Pflegerin und das Aufsichtspersonal zitterten.
Er zählte weiter, bis er zu Miriam und mir kam. Er blieb stehen und sah uns an. Ich war wie gelähmt. Dann ging er weiter. Die anderen Kinder sagten uns, er sei am Tag zuvor bei unserer Ankunft auf der Selektionsplattform gewesen. Er war es, der die Selektion der Gefangenen mit einer kurzen Bewegung seines Kommandostabs vornahm. Nach rechts bedeutete die Gaskammer, nach links Lager und Zwangsarbeit.
Nachdem Mengele die Baracke verlassen hatte, erhielten wir unsere morgendlichen Essensrationen. Miriam und ich tranken den Kaffeeersatz, auch wenn er scheußlich schmeckte. Das Wichtigste war, dass er mit gekochtem Wasser zubereitet wurde, und wir erfuhren bald, dass dies Schutz vor Ruhrerkrankungen bedeutete – vor fortwährendem Durchfall.
In Fünfergruppen marschierten wir von Birkenau zu den Laboren in Auschwitz. Wir betraten ein großes, zweistöckiges Backsteingebäude. Miriam und ich wurden gezwungen, unsere Kleider, Unterwäsche und Schuhe auszuziehen. Wir waren dort Jungen und Mädchen: zwanzig oder dreißig Zwillingspaare. Anfangs war ich schockiert von dem Anblick.
Später fand ich heraus, dass die Zwillingsjungen in einer separaten Baracke unter besseren Bedingungen als wir lebten. Sie wurden von einem jungen jüdischen Gefangenen betreut, einem ehemaligen Offizier namens Zvi Spiegel, den Mengele zu ihrem Aufseher bestimmt hatte. Zvi kümmerte sich und half den kleinen Jungen, indem er Mengele überredete, ihre Ernährung und ihre allgemeinen Lebensbedingungen zu verbessern; Mengele glaubte sicherlich, das alles mache sie zu umso besser geeigneten Versuchskaninchen. Zvi, auch als »Zwillingsvater« bekannt, tröstete die Jungen, beschäftigte sie mit Denkspielen, damit sie ihren Verstand in Bewegung hielten, und brachte ihnen ein wenig Geographie und Mathematik bei. Tagsüber ließ er sie mit einem Fußball, bestehend aus einem Lumpenbündel, herumkicken, damit sie in besserer körperlicher Verfassung blieben. Sie sollten sich auch jeweils die Namen der anderen einprägen, um sich wie Menschen zu fühlen.
Wir hatten niemanden in unserer Baracke, der uns angeleitet und darin unterstützt hätte, Freundschaften zu schließen. Ich bin nie zu einem anderen Mädchen gegangen und habe es nach seinem Namen gefragt oder ihm meinen gesagt. Wir alle waren allein, lediglich Zwillinge mit Nummern, und jede von uns versuchte zu überleben. Der einzige Mensch, um den ich mir Gedanken machte, war Miriam.
Als ich mich in jenem Backsteinbau umsah, bemerkte ich ein paar zweieiige Zwillinge, die
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