Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt
wurde jemand reich.
Am Morgen nach meiner Ankunft besuchte mich Mengele mit einem Team vier weiterer Ärzte. Sie diskutierten meinen Fall, als befänden sie sich in einem normalen Krankenhaus. Obwohl sie Deutsch sprachen, verstand ich viel von dem, was sie sagten. Dr. Mengele lachte und sagte mit einem ironischen Grinsen über mich: »Was für ein Pech. Sie ist so jung und hat nur noch zwei Wochen zu leben.«
»Wie kann er das wissen?«, fragte ich mich. Nach der bösartigen Spritze hatten sie keinerlei weitere Tests an mir durchgeführt. Später erst habe ich herausgefunden, dass Mengele wusste, mit welcher Krankheit sie mich infiziert hatten und wie sie verlaufen würde. Es könnte eventuell Beriberi oder Fleckfieber gewesen sein. Ich habe es nie mit Gewissheit klären können.
Während ich im Bett lag und Mengele und den anderen Ärzten zuhörte, versuchte ich nicht zu zeigen, dass ich den Inhalt ihrer Gespräche erfasste. Ich sagte zu mir selbst: »Ich bin nicht tot. Ich weigere mich zu sterben. Ich werde diese Ärzte austricksen, Dr. Mengele Lügen strafen und lebend hier herauskommen.« Vor allem anderen aber wusste ich, dass ich zu Miriam zurückkehren musste.
In jenen ersten Tagen hatte ich sehr hohes Fieber, aber niemand gab mir Nahrung, Medikamente oder Wasser. Sie überprüften lediglich meine Temperatur. Ich war dermaßen durstig, brauchte so dringend Wasser, hatte einen so trockenen Mund, dass ich glaubte, nicht viel länger atmen zu können.
Am anderen Ende der Baracke gab es einen Wasserhahn. Ich erinnere mich, dass ich aus dem Bett rutschte, die Tür öffnete und über den Boden robbte, um diesen Wasserhahn zu erreichen. Der raue Zement hinterließ Schürfwunden auf meiner Haut, verkühlte meinen Bauch. Ich streckte die Hände aus und schleppte meinen Körper auf allen vieren weiter, kroch langsam über diesen von Exkrementen und schmierigem Belag bedeckten Boden. Von Zeit zu Zeit verlor ich das Bewusstsein, kam dann erneut zu mir und schob mich Zentimeter um Zentimeter vorwärts.
Ich werde wieder gesund, wiederholte ich unentwegt im Stillen.
Ich muss leben. Ich muss überleben.
Das Bedürfnis nach Wasser überwältigte mich. Das Seltsamste ist, dass ich mich nicht erinnere, tatsächlich Wasser getrunken zu haben. Es muss so gewesen sein, denn nur auf diese Weise kann ich überlebt haben. Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich zurück in mein Etagenbett in dem Raum, den ich mit den anderen Mädchen teilte, gekommen bin. Und doch habe ich mich zwei Wochen lang jede Nacht zu diesem Wasserhahn geschleppt.
Nach meiner ersten Woche im Krankenbau fand Miriam heraus, dass ich absolut nichts zu essen bekam. Frau Csengeri, unsere alte Freundin, sagte es ihr. Frau Csengeri fungierte als Botin, die heimlich von Baracke zu Baracke schlich, wenn sie ihre eigenen Zwillingstöchter besuchte. Miriam begann, ihr Brot für mich aufzusparen, und reichte es an Frau Csengeri weiter, damit sie es mir übergab. Man stelle sich Miriams Willenskraft vor, eine Zehnjährige, die beschließt, eine Woche lang nichts zu essen! Dieses tägliche Stück Brot von meiner Zwillingsschwester half mit, mein Leben zu retten, und verstärkte meine Entschlossenheit, zu ihr zurückzukehren.
Nach zwei Wochen sank wie durch ein Wunder mein Fieber. Ich fühlte, dass meine Kräfte allmählich wieder zunahmen. Eines Nachts wurde ich wach und sah die Silhouette unserer Blockaufseherin: schlank und dunkel. Hin und wieder stahl sie sich bei Nacht in unser Zimmer und gab uns etwas zu essen. »Hier ist ein Stück Brot für dich«, sagte sie leise und legte es auf mein Bett. »Wenn das irgendjemand herausfindet, werde ich bestraft.« Einmal gab sie Vera, Tamara und mir sogar ein Stück von ihrem Geburtstagskuchen. Was für ein Leckerbissen! Das schmeckte so gut, so wunderbar. Wir verschlangen es, leckten unsere Finger ab und anschließend das Papier, in das der Kuchen eingewickelt gewesen war. Selbst in Auschwitz gab es ein paar barmherzige Menschen.
Dennoch, wenn ich an jene Tage zurückdenke, bin ich mir nicht sicher, warum sie mir während der ersten beiden Wochen, in denen ich so krank war, kein Wasser gab. Ich kann nur mutmaßen, dass sie ihre Anstrengungen auf die konzentrierte, die dem äußeren Eindruck nach überleben würden.
Da meine Kräfte wuchsen, wollte ich so schnell wie nur möglich aus diesem Krankenbau heraus, aber ich hatte immer noch Fieber. Dr. Mengele und sein Team erschienen zweimal täglich und kontrollierten meine
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