Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt
sahen die Lagerinsassen als einen siegreichen Akt an. Das Problem war, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie etwas gestohlen hatte, mit Ausnahme eines Gegenstands: eines Bechers.
Irgendwann einmal, es war auf dem Weg zur Dusche und wir marschierten in einer Fünferreihe, waren wir auf einen Stapel Töpfe und Pfannen zugesteuert. Ich hatte mich von meinem Platz in der Mitte der Reihe an den Rand geschoben. Ich sprang vor, griff nach einem Becher, verbarg ihn im locker sitzenden Oberteil meines Kleids und marschierte weiter, als sei nichts passiert. Falls der SS-Mann, der uns begleitete, mich gesehen hatte, sagte er jedenfalls nichts.
Den Gerüchten zufolge wurde jeder beim Stehlen Ertappte gehängt, ebenso wie jene, die zu fliehen versuchten. Die Nationalsozialisten hatten uns zuvor gezwungen, solchen Hinrichtungen beizuwohnen, und dazu gesagt, wir sollten genau hinschauen, dies sei, was uns bei Diebstahl oder Fluchtversuch blühe. Ich erinnere mich, wie ich im Stillen dachte: »Oh, das Leben hier ist ja so großartig. Warum um Himmels willen sollten wir zu fliehen versuchen?« Ich beschloss, irgendwie an ein paar Kartoffeln zu gelangen, damit Miriam wieder gesund wurde. Ich wusste nicht, was mit mir passieren würde, wenn ich Kartoffeln einzustecken wagte, aber ich wusste wohl, es konnte den Tod bedeuten. Ein Galgen, ein Holzgerüst als Vorrichtung zum Erhängen, stand vor Block 11. Doch selbst wenn mich dies erwartete für den Fall, dass man mich erwischte – das Risiko musste ich für Miriam unausweichlich auf mich nehmen. Ich konnte Miriam nicht sterben lassen.
Einige andere Zwillinge aus unserer Baracke kochten nachts Kartoffeln, also fragte ich sie, woher ich ein paar Kartoffeln kriegen könne. Sie sagten mir, der einzige Ort, um an Kartoffeln zu kommen, sei die Küche, und so meldete ich mich freiwillig zum Essenaustragen. Auf diese Weise würde ich eines von den zwei Kindern sein, die einen riesigen Behälter Suppe, so groß wie ein Hundertdreißig-Liter-Müllcontainer, von der Küche bis ans Ende des Lagers zu unseren Baracken schleppten. Der normale Fußweg dauerte zwanzig Minuten; den schweren, vollen Behälter herzuzerren, dauerte noch länger. Als ich mich zum ersten Mal freiwillig meldete, wurde ich nicht genommen. Am nächsten Tag meldete ich mich wieder und wurde mit einem anderen Zwilling dazu bestimmt, die tägliche Suppe zu holen, eine wässrige Flüssigkeit, in der gelegentlich ein paar Kartoffelstücke schwammen.
Kaum hatte ich die Küche betreten, da sah ich einen langen Metalltisch, auf dem Töpfe und Pfannen standen. Darunter entdeckte ich zwei Säcke Kartoffeln. Einen Augenblick lang zögerte ich. Wenn ich erwischt wurde, konnte ich sterben, aber wenn ich es nicht versuchte, würde Miriam sterben.
Ich bückte mich und spähte umher, ob mich irgendjemand beobachtete. Während mein Herz so heftig klopfte, dass es in meinen Gehörgängen zu spüren war, griff ich in den einen Sack und schnappte mir zwei Kartoffeln. Dann packte mich jemand am Kopf und zog mich hoch. Es war die Küchenangestellte, eine dicke Gefangene, die ein gestreiftes Tuch um den Kopf trug.
»Das darfst du nicht!«, schrie sie mir ins Gesicht.
»Was darf ich nicht, gnädige Frau?« Mit großen Augen spielte ich die Unschuldige.
»Es gehört sich nicht, zu klauen! Leg das zurück.«
Ich ließ die Kartoffeln wieder in den Sack fallen. Ich rechnete damit, sofort zum Galgen gezerrt zu werden, aber das geschah nicht. Fast hätte ich vor Erleichterung zu lachen begonnen, als ich begriff, dass das Ausschimpfen meine einzige Strafe bleiben würde. Ich hatte soeben gelernt, dass ein Mengele-Zwilling zu sein auch bedeutete, dass niemand uns bewusst Schaden zuzufügen wagte, solange Mengele uns lebend haben wollte. Er brauchte uns ja, um seine Experimente fortzuführen.
Aber ich befürchtete dennoch, die Küchenangestellte könnte meinen Diebstahlversuch an die Blocova , unsere Blockaufseherin, melden, und dann würde man mir nicht mehr erlauben, das Essen auszutragen. Am nächsten Tag jedoch meldete ich mich wieder freiwillig und wurde wieder genommen.
Dieses Mal war es leichter, Kartoffeln zu organisieren, ohne erwischt zu werden. Ich war bei Weitem nicht so nervös, weil ich wusste, dass mir schlimmstenfalls eine Standpauke drohte.
Sobald ich bei den Säcken war, griff ich unter dem Tisch schnell drei Kartoffeln und versteckte sie in meinem Kleid. Diesmal sah es niemand. Geschafft! Dieser winzige Geheimvorrat an
Weitere Kostenlose Bücher