Ich habe den Todesengel überlebt - Mozes Kor, E: Ich habe den Todesengel überlebt
klammerten uns aneinander.
»Eva, wo bist du gewesen?«, fragte Miriam mich unter Tränen. »Wir haben einen Riesenfehler begangen, als wir losgerannt sind. Ich habe gedacht, ich sehe dich nie wieder.«
»Nein. Darüber habe ich mir keine großen Gedanken gemacht. Ich musste dich doch finden!«, behauptete ich. Dann aber gestand ich ihr die Wahrheit. »Ich war total verzweifelt.«
Ich sank in ihre Arme, und es war ein Gefühl wie an Chanukka, unserem Lichterfest. Es war ein Wunder!
Ich empfand ein Gefühl der Erleichterung und Liebe von solcher Intensität, wie ich es in meinem ganzen Leben nie stärker empfunden habe. Ich lehnte mich zurück, um Miriams abgemagertes Gesicht anzuschauen, dann schlang ich erneut meine Arme um sie und hielt sie ganz fest. Diese vierundzwanzigstündige Suche nach ihr hatte sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Je mehr ich Miriam festhielt, desto sicherer war ich, dass wir nie wieder getrennt würden. »Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe«, sagte ich zu ihr, von stärkeren Emotionen erfüllt, als ich auszudrücken fähig war.
Miriam streckte ihre Hand aus. »Schau mal«, sagte sie. Sie hatte ein Stück Schokolade darin. »Das hat mir jemand geschenkt, als ich dich gesucht habe.«
Ich riss die Augen auf. Sie bot es mir an.
Ich brach die Schokolade in zwei Hälften und wir genossen sie in diesem wunderbarsten aller Augenblicke.
»Ab jetzt hältst du dich immer an meiner Hand fest«, sagte ich. »Und lass sie niemals los.«
Miriam stimmte zu. »Ja, wir dürfen nie wieder getrennt werden.«
»Diese Baracke ist unser Glücksbringer!«, sagte ich.
»Dann lass uns hier ein bisschen schlafen«, sagte Miriam und rutschte an der Wand ein Stück tiefer. »Ich bin so schrecklich müde.«
Unsere Finger fest ineinander verschränkt, unsere Körper auf der Suche nach Geborgenheit eng beieinander, schlossen wir unsere erschöpften Augen. Was immer als Nächstes geschehen würde, wir wussten, dass wir einander hatten.
Neuntes Kapitel
Die nächsten neun Tage waren Miriam und ich auf uns selbst gestellt, und wir kümmerten uns um uns wie alle anderen auch. Wir blieben in unserer Glücksbringer-Baracke, zusammen mit anderen Zwillingspaaren und erwachsenen Frauen. Meine tägliche Aufgabe bestand darin, für Miriam und mich etwas zu essen zu finden. Miriam hatte von dem langen Zählappell im Zigeunerlager Erfrierungen an den Füßen davongetragen, deshalb passte sie auf unsere Decken und unser Essgeschirr auf, während ich gemeinsam mit zwei anderen Mädchen organisieren ging.
Die Mädchen und ich brachen in die Vorratslager der Nazis ein und in die Gebäude, welche die SS bewohnt hatte.
Zweimal gingen wir in eine NS-Kommandantur, ein schönes Haus mit schönen Möbeln. Vorher hatten wir gar nicht gewusst, dass solch ein Ort existierte. Ein Leben im Luxus inmitten eines nationalsozialistischen Todeslagers.
Wir sahen Speisen auf dem Tisch, die unglaublich appetitlich aussahen. Sie waren wie frisch angerichtet, köstlich! Genau genommen sahen sie zu appetitlich aus. Ich fragte mich, weshalb die Nationalsozialisten wohl solch gutes Essen zurücklassen sollten. Stimmte irgendetwas damit nicht? Vom Hunger getrieben griff ich nach etwas. Aber kurz bevor ich es in den Mund steckte, hielt ich inne und legte es zurück. Später sprach ich mit Leuten im Lager, die sagten, die Nazis hätten gezielt vergiftete Lebensmittel zurückgelassen, damit Gefangene wie ich sie essen und daran sterben sollten.
Ein andermal fanden die Mädchen und ich riesige Gefäße mit Sauerkraut. Wir aßen davon, und da wir kein Trinkwasser hatten und kein Schnee lag, den wir hätten schmelzen können, tranken wir den Sauerkrautsaft. In der Küche holten wir uns ein bisschen Brot. Für uns war es ein Festmahl.
Mittlerweile hatten wir großes Geschick darin entwickelt, Essbares aufzutreiben. Ich hatte ein Schaltuch organisiert, und es wurde zu unserem wertvollsten Hilfsmittel. In einem Keller stießen wir auf einen riesigen Berg Mehl. Ich breitete mein quadratisches Tuch aus und füllte es mit Mehl. Zurück in der Baracke mischten wir das Mehl mit etwas Flüssigkeit und buken einen Kuchen auf dem Ofen. Er erinnerte an das ungesäuerte Brot, das die biblischen Juden gegessen hatten, als sie Ägypten überstürzt verlassen mussten und keine Zeit hatten, den Brotteig gehen zu lassen. Er war unser Pessach- Matze im Konzentrationslager.
Wir hatten trotzdem immer noch sehr wenig zu essen. Ich erinnere mich, wie ich meine
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