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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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solle mich
zu ihm setzen, was ich nur tat, weil meine Beine zu müde waren, um noch länger
zu stehen. Die Leute hielten es für eine Kuriosität, dass ich Schach spielen
konnte, und Lindo forderte einen Mann mit Strohhut und rot verbrannten
Unterarmen auf, gegen mich anzutreten. Er setzte zwei Guineen auf mich. Vor
Jahren, als unser Verhältnis noch herzlich gewesen war, hatte Lindo mir alle
möglichen Strategien erklärt. Bringe zuerst die Mitte des Brettes unter deine
Kontrolle. Richte deine Läufer wie Kanonen aus und deine Pferde wie Spione.
Gebe deinem Gegner keinen Raum, sich zu bewegen. Kontrolliere und attackiere
seinen König, setze ihn fest. Ich fand, es war ein schmutziges Spiel, aber es
ersparte mir, mit Lindo reden oder mir seine endlosen Litaneien über den
schwindenden Indigo-Markt anhören zu müssen. Der Mann mit dem Sonnenbrand
staunte, als ich ihn schachmatt setzte, und wurde wütend, weil Lindo mir die
zwei Guineen gab.
    »Sie hat sie verdient«,
sagte Lindo mit einem Achselzucken.
    Ich sah meinem Gegner
wohlweislich nicht in die Augen und ließ das Gold in meiner Tasche verschwinden.
    Am nächsten Morgen
segelten wir in den Hafen, und erst als wir uns dem Land näherten, sah ich,
dass New York eine Insel war, einem langen Bein gleich, auf dessen Fuß sich die
Leute drängelten.
    »Sie nennen sie
Manhattan«, sagte Lindo, »nach dem indianischen Wort für hügelige Insel: Manna-hata .«
    Ich hatte mich während
der ganzen Reise bedrückt gefühlt, doch als ich jetzt auf die Straßen voller
Gebäude blickte und allein fünfzehn Kirchtürme zählte, von denen der größte
hoch aufwuchs wie ein Riesenbaum, hob sich meine Stimmung etwas. Manna-hata bot
ein tröstendes Durcheinander. Insel oder nicht, vielleicht war es die Art Ort,
an dem ich Zuflucht finden konnte.
    Auf dem Kai wurden wir
von einem schreienden Mob umringt. Ein Neger warf meinen Koffer und Lindos
Kiste auf einen Karren und verlangte einen Schilling. Wir folgten dem
Gepäckträger in die Straßen voller Menschen, Karren und Pferde. Die Gebäude
waren aus Holz, einige auch aus Stein. Hart und eckig waren sie, aber gepflegt
und sauber, und dann änderte sich die Szenerie und wir kamen in eine Gegend, in
der es nur noch ziemlich merkwürdige Baracken, Schuppen und Zelte gab, aus
denen Stangen und Pfosten wie abgebrochene Knochen ragten. Ich sah schwarze
Männer und Frauen aus den unbefestigten Gassen und Wegen kommen und darin
verschwinden, einige von ihnen trugen Trümmer mit sich, die sie auf
Schiffswerften ergattert haben mussten: kaputte Rahen, zerrissene Segel und
lange Holzlatten, die wie Rippen gebogen waren.
    »Canvas Town«, sagte
Lindo. »Komm nicht her, wenn du weißt, was gut für dich ist.«
    »Wer sind diese Leute?«
    »Die
Canvas-Town-Neger«, sagte er. »Nichtsnutziges Gesindel, das ständig darauf aus
ist, dich zu bestehlen.«
    »Sind sie frei?«,
fragte ich.
    »Die Frage ist, wie sie
leben«, antwortete er.
    Ich warf einen weiteren
Blick auf die Neger vor ihren Hütten, die Stoffe und Wasser hin und her trugen.
Eine Frau hatte einen Topf über einem niedrigen Feuer hängen. Sie schienen sich
unbehelligt bewegen zu können.
    »Lass uns nicht hier
herumtrödeln«, sagte Lindo und forderte den Gepäckträger auf, sich zu beeilen.
    Erneut gelangten wir in
einen bebauten Bereich. Ich las die Straßenschilder: Broadway, Wall Street,
William Street. Wir kamen in die Broad Street und dann in die Pearl Street.
Unser Träger öffnete die Tür eines Hotels, über der The
Fraunces Tavern stand.
    Ein großer, gut
gebauter hellhäutiger Neger in einem blauen Baumwollhemd und mit einer Uhrkette
stand hinter der Empfangstheke und lächelte uns an. »Willkommen«, sagte er in
einem Tonfall, der weder amerikanisch noch afrikanisch war. »Sam Fraunces«,
sagte er und schüttelte Lindo die Hand, »aber Sie können mich Black Sam oder
auch einfach nur Sam nennen, wenn Ihnen das lieber ist. Ich weiß, Sie waren
noch nicht hier, weil ich meine Gäste niemals vergesse.« Damit sah er mich an
und schüttelte auch mir die Hand. »Und ich weiß auch ohne jeden Zweifel, dass
ich Sie noch nie gesehen habe. Dabei habe ich mir schon lange gewünscht, Sie
kennenzulernen. Doch, doch, so ist es.«
    Ich grinste.
    Er kam aus der Karibik,
war wahrscheinlich Jamaikaner. Ich hatte Leute mit jamaikanischem Akzent in
Charles Town gehört, aber kein Jamaikaner oder sonst ein Neger hätte dort ein
Gasthaus besitzen können. Und das hier war nicht nur ein

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