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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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zwischen
uns reparieren. Und jetzt geh bitte, denn ich habe noch Dinge zu erledigen.«
    Ich beschloss, am
Morgen mit ihm zu fahren. Es würde mein Exodus sein. Mit etwas Glück würde ich
nie wieder in die Provinz Süd-Carolina zurückkehren.

BUCH DREI

Nationen, nicht so gesegnet wie sie
    {London, 1804}
    Die Abolitionisten argwöhnen, dass die mir verbleibende Zeit begrenzt ist, was sich
nicht leugnen lässt. Es ist, als wäre meiner Lunge eine genaue Anzahl Atemzüge
gewährt, und fast habe ich das Gefühl, die Zahl jetzt, da sich das Ende nähert,
in den Wolkenmustern bei Sonnenuntergang erkennen zu können. So wache ich denn
morgens leicht beunruhigt auf und mühe mich, die Düsternis aus meinem Kopf zu
vertreiben und jeden Tag als ein neues Geschenk zu sehen. Ich fühle mich keinem
Gott verbunden, wie man es bei einem Muslim, einem Juden oder Christen annehmen
würde; dennoch finde ich einen gewissen Trost darin, mir vorzustellen, dass
eine sanfte Stimme zu mir sagt: Los doch, nimm ihn,
nimm diesen neuen Tag .
    Ich bin nicht mehr
völlig abgearbeitet und muss nicht mehr jede Stunde darum kämpfen, meinen Bauch
zu füllen oder meinen Kopf bedecken zu können, und so fällt es mir leicht, Tag
für Tag eine neue Entdeckung zu machen, zum Beispiel, dass mit den Menschen
etwas Besonderes geschieht, wenn sie denken, sie sehen dich vielleicht nie
wieder. Dann erkennen sie plötzlich Weisheit in dir und wollen dich in der
Nähe, wenn es große Momente zu erleben gibt.
    Gestern hat mich der
fröhliche Abolitionist – Sir Stanley Hastings, wie der Rest der Welt ihn nennt – endlich dazu gebracht, ihn zur Sonntagsmesse zu begleiten. Er hatte schon
seit einer ganzen Weile darauf gedrängt, und ich konnte es ihm nicht länger
abschlagen.
    Wir gingen in seine
Kirche, die, wie er sagte, das einzig ehrbare Gebetshaus der Stadt sei. Sein
Wort haltend, wachte er während der gesamten Tortur über mich und stützte mich,
wenn eine Stütze nötig war. Auf dem Weg nach drinnen, unter dem Eingangsbogen
aus zeitlosem Stein und ewigen Echos, drängten mir Männer und Frauen jeder
Glaubensrichtung und mit allen nur erdenklichen Perücken und Hüten auf dem Kopf
entgegen, um mir vorgestellt zu werden.
    »Wir haben gehört, dass
Sie bald der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollen«, sagte einer. »Wir
hören, der Parlamentsausschuss soll bald tagen«, ein anderer. »Wir hören, dass
Sie Voltaire und Swift zitieren können«, ein dritter.
    »Nur, wenn ich selbst
nicht weiterweiß«, antwortete ich und wurde mit Lachen belohnt.
    Als der Bischof
aufstand, konnte ich endlich mein müdes Hinterteil auf eine Kirchenbank senken.
Ganz vorne, nicht irgendwo hinten. Sir Stanley flüsterte mir zu, fast tausend
Leute säßen hinter uns, und ich hatte das Gefühl, dass sich mindestens doppelt
so viele Blicke in die dunkelbraune Haut meines Nackens bohrten. Es reicht wohl
zu sagen, dass meine Haut die einzige dieser Färbung unter den Anwesenden war.
    Ich fand es entnervend,
wie der Bischof mich anstarrte, als er auf seine Kanzel stieg, und gleichzeitig
die Blicke der Kirchgänger auf mir zu wissen. Ich wollte nichts als schlafen
und den Trost eines ruhigen, einsamen Zimmers. Meine Lider schienen mit Steinen
beschwert, doch ich gab mir alle Mühe, sie offen zu halten. Ich hatte keinerlei
Verlangen danach, meinen tapferen Gastgeber zu beschämen, und so saß ich still
und aufrecht wie die weißen Anglikaner Londons da und träumte mit offenen Augen
von einem warmen Bett und einem Federkissen.
    Die Menschen
Großbritanniens und anderer Seefahrernationen hatten undenkbare Strafen für die
Kinder Hams ersonnen, doch in diesem Augenblick und in dieser Zeit schien
nichts schlimmer als die von ihnen sich selbst auferlegte Qual, unbeweglich,
und ohne einnicken zu dürfen, in diesem höhlenartigen Raum mit seinen
steinernen Bögen und verbotenen Fenstern sitzen zu müssen, während der kleine
Mann auf der Kanzel hoch droben fast eine ganze schreckliche Stunde lang eine
monotone Wortkette entspann.
    Ich tat mein Bestes, um
aufrecht sitzen zu bleiben. Ich schloss die Augen nur halb, und ganz sicher
konnte niemand erkennen, dass ich träumend in andere Länder und Zeiten entfloh.
Ich dachte an meine Mutter, die mir als Kind so weise und alt erschienen war.
Selbst wenn man die letzten Schritte seines Lebens tut, scheint man sich immer
noch nach den langsam sich wiegenden Bewegungen der mütterlichen Arme zu
sehnen. Wiegen. Mein Körper wiegte sich. Ganz kurz

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