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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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Dolly überkommen hätte, wäre ein solcher Mob in
das Haus der Lindos in Charles Town eingedrungen.
    Der Butler schaffte es
wieder auf die Beine. Statt wegzulaufen, stand er da und drückte sich die
Finger auf die Schläfen. Mehr und mehr Menschen kamen die Wall Street herauf
und schrien Dinge, die ich nicht verstand.
    Ein weißer Junge von
nicht mehr als siebzehn Jahren blieb neben mir stehen und brüllte so laut, als
sollte die ganze Welt es hören: »In Lexington und Concord fließt Blut!«
    In all der Aufregung
wagte ich die Frage: »Was soll das heißen?«
    »Die Rebellen haben die
Tories in Massachusetts angegriffen, und sie haben gewonnen.«
    Er schrie so laut, dass
ich einen Schritt zurückwich. Seine Worte waren immer noch an die Menge
gerichtet.
    »Die Rebellen, dazu
gehöre ich«, sagte er, als er sah, dass ich ihm nicht ganz folgen konnte. »Die
Tories … Bist du ein Tory?«
    »Was genau ist das?«
    »Für’n Nigger redest
du’n bisschen vornehm«, sagte er. »Wenn du schlau bist, bist du besser kein
Tory. Es herrscht jetzt Krieg, und wir werden alle frei sein.«
    »Frei? Die Sklaven?«
    »Nicht die Nigger. Ich
rede von uns. Den Rebellen, den Patrioten. Wir werden uns von den Engländern
und ihren Steuern befreien. Nie wieder werden wir Sklaven sein. Bist du auf der
Seite der Rebellen oder der Tories?«
    »Ist das wichtig?«
    »Schlag dich auf unsere
Seite, wenn du weißt, was gut für dich ist«, sagte er und lief mit seinen
Freunden davon.
    Die Straßen waren
mittlerweile voller singender, schreiender Menschen. Musketen wurden
abgefeuert. Als ich zurück zu Fraunces kam, herrschte auch dort ein wildes
Durcheinander. Männer tranken, fielen völlig betrunken um, fluchten auf die
Engländer und gelobten, eines Tages die Freiheit zu erlangen. Und sie aßen
auch, und Sam und seine Leute hatten alle Hände voll zu tun, sie zu bedienen.
    »Was ist passiert, Sam?«
    »Wenn du mir hilfst,
den Mob hier zu bedienen und wieder hinauszubekommen«, sagte er, »werde ich
mich dafür revanchieren.«
    Ich sehnte mich nach
einem sicheren Ort, weg von der kochenden Wut, aber das Angebot war zu gut, als
dass ich es hätte ausschlagen können.
    Ich arbeitete in der
Küche, füllte Bier aus Fässern in Krüge, machte Punsch mit Rum, Limonade und
Orangenstücken, arrangierte Platten mit Fleisch, Käse und Obst und gab sie den
Männern, die bedienten. Die Gäste schrien so laut, dass ich mich fragte, ob sie
gleich zu randalieren anfangen würden. Aber so wild sie auf der Straße waren,
so sehr mochten sie Sam Fraunces und sein Gasthaus und schienen sich ganz zu
Hause zu fühlen. Betrunken und unbändig, wie sie waren, zerbrachen sie nicht
einen Teller.
    Irgendwann dann wurden
es weniger. Die Patrioten liefen zurück auf die Straßen, um zu feiern, und Sam
nahm mich beim Arm.
    »Meena, es ist Zeit.
Lauf davon«, sagte er.
    »Jetzt?«
    »Der Krieg ist nicht
mehr abzuwenden, den Engländern steht die Überraschung ihres Lebens bevor. Sie
haben keine Ahnung, wie wütend die Leute sind. Wenn du jetzt fliehst, hat Lindo
nicht die Zeit, dich aufzuspüren.«
    »Warum?«
    »Ich habe gerade
gehört, dass die Engländer davon reden, den Hafen zu schließen. Dein Lindo wird
zurück nach Hause und zu seinem Geschäft wollen, schließlich könnten die Leute
dort auch revoltieren, und wenn er heute nicht fährt, kommt er womöglich nicht
mehr weg.«
    Ich wollte Lindo nicht
wiedersehen, trotzdem machte mir der Gedanke, in diesem Aufruhr zu fliehen, Angst.
    »Wo soll ich mich
verstecken?«, fragte ich.
    »Geh zunächst nach
Norden. Den Broadway hinauf und in die Wälder.«
    »Was ist mit Canvas
Town?«
    »Nein. Dafür ist es
noch zu früh. Er könnte jemanden nach dir suchen lassen.«
    Ich fühlte mich wie
gelähmt. Was sollte ich allein im Wald machen? Aber Fraunces stopfte bereits
Äpfel, Brot, ein Stück gepökeltes Rindfleisch und eine Decke in einen Sack.
    »Nimm das und verliere
keine Zeit. Geh nicht noch mal hoch in dein Zimmer, warte nicht länger. Lauf
nach Norden. Den Broadway hinauf. Wenn du den Stadtrand erreichst, geh immer
weiter, tief in den Wald.« Draußen auf der Pearl Street tranken Männer Rum aus
einem gestohlenen Fass. »Komm in ein paar Tagen wieder her«, flüsterte
Fraunces. »Komm in der Dunkelheit und klopf dreimal an die Küchentür, in der
Gasse hinten.«
    Ich lief hinaus in den
Wahnsinn und schob mich zwischen den betrunkenen, lachenden, fluchenden,
krakeelenden Männern hindurch, die in die eleganten Häuser

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