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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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der Wall Street
einbrachen. Ich lief den Broadway hinauf, vorbei an der Trinity Church, in der
ich abends zuvor gesessen hatte, und kam schließlich zu einer kleineren Kirche,
die St. Paul’s Chapel hieß. Auf der Suche nach einem ruhigen Ort zum Nachdenken
stieg ich die Stufen hinauf, lugte durch die Tür und sah eine Gruppe Neger, die
sich besprachen. Sie drehten sich um und starrten mich an. Ich wandte mich ab
und verließ die Kirche wieder. Auf der Straße fasste mich ein alter schwarzer
Mann beim Arm und sagte: »In die Richtung würd ich an deiner Stelle nich laufen.«
    »In welche Richtung?«
    »Wo du gerade
hinwills’. Auf die Heilige Erde.«
    »Was ist die Heilige
Erde?«
    »Das Land gehört der
Kirche, aber’s iss voller Ladies mit schlechtem Ruf. Du siehs’ aus, als wär’s
du neu in der Stadt, deshalb solls’ du’s wissen.«
    »Welche Richtung ist
sicherer?«
    »Sicher gib’s in diesen
Zeiten nich«, sagte er. »Im Norden findes’ du Wald. Aber sei auch da
vorsichtig.«
    So lief ich denn weiter
nach Norden, wie es der Mann gesagt hatte. Hier waren immer weniger Leute
unterwegs, und der Lärm der Feiernden erstarb. Nach einiger Zeit endete auch
die letzte Straße, und ich betrat bewaldetes Gebiet. Ich ging immer weiter. Ich
hatte Angst vor der Dunkelheit und dem einsamen Klang meiner Schritte auf den
trockenen Blättern, aber ich ging weiter. Zwischendurch überlegte ich, ob
Solomon Lindo sich wohl je vorgestellt hatte, dass ich ihm davonlaufen könnte.
    Ich kam über eine
Lichtung und sah ein paar beschnittene, im Boden steckende und Rechtecke
bildende Stöcke, direkt neben einem perfekt runden Haufen Steine. Etwas weiter
sah ich genau gleich angeordnete Stöcke und Steine, und als ich endlich
glaubte, tiefer in den Wald hineingelaufen zu sein, als es Lindo sich je
vorstellen könnte, setzte ich mich auf die Erde, lehnte meinen Sack wie ein
Kissen gegen einen dicken Baumstamm und legte mich hin, um die Beine
auszustrecken. Es war der späte Nachmittag des 23. April 1775, und ich hatte
meine Freiheit wiedererlangt.
    Ich stellte mir vor,
dass jetzt irgendwann Solomon Lindo zurück in Fraunces Tavern kommen musste und
erwartete, dass ich seinen Brief an Gouverneur Tryon geschrieben hatte. Im
Durcheinander der Feiernden auf den Straßen New Yorks würde er nicht eine
Menschenseele finden, die ihn in meine Richtung weisen konnte. Im Gegenteil,
wenn er jemanden nach mir fragte, hielt ihn der womöglich für einen der Männer,
dem eines der eleganten Häuser an der Wall Street gehörte, und er brachte sich
in Gefahr. Würde Sam Fraunces recht behalten, und Lindo nahm das nächste Schiff
in den Süden? Wenn er sich täuschte, suchte Lindo womöglich in der Stadt nach
mir, würde aber keinesfalls bis nach hier oben kommen. Fast zwanzig Jahre,
nachdem ich im Wald von Bayo gefangen genommen worden war, lag ich zwischen den
Bäumen eines anderen Kontinents und war wieder frei.
    Ich schlief unruhig in
dieser Nacht, kauerte mich unter meine Decke, und in meinen Träumen rannten
Kaninchen über die Pfade um mich herum, blieben in vollem Lauf stehen und
starrten mich mit großen Augen an. Am Himmel standen zwei schmale Mondsicheln,
und ich hörte eine Eule nach mir rufen: Aminata
Diallo , rief sie wieder und
wieder. Ich wachte mehrmals auf, und kaum dass ich wieder in Schlaf fiel,
kehrten die seltsamen Bilder zurück.
    Morgens spürte ich das
Licht auf meinen Lidern, und wieder hörte ich Stimmen rufen. Stimmen aus
Afrika. Konnte das mein Name sein? Ich öffnete die Augen. Die Erde war nass.
Die Decke lag noch auf mir, und auch der kleine Sack mit Proviant war noch da.
Woher kamen diese Stimmen? Ich stand auf, steckte die Decke in den Sack,
zitterte in der kalten, feuchten Morgenluft und ging an ein paar Bäumen vorbei
in Richtung Stadt und in Richtung der Geräusche.
    Es waren keine Stimmen
der Gefahr. Es waren klagende, trauernde Stimmen. Stimmen aus meiner Heimat.
Eine Minute später legte ich meine Hand auf den Stamm eines Baumes am Rand
einer kleinen Lichtung und machte große Augen. Dort, bei den Stöcken und runden
Steinhaufen, an denen ich abends zuvor vorbeigekommen war, stand eine kleine
Gruppe Neger und sang afrikanische Lieder. Es war keine Sprache, die ich
verstand, aber es war eine Sprache aus meiner Heimat, tief und voller
Sehnsucht. Die Menschen hatten einen Kreis gebildet und tanzten so, wie ich es
schon gesehen hatte, mit erhobenen Armen und kreisenden Hüften, fast ohne die
Füße zu

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