Ich habe einen Namen: Roman
Geburt.
Eine junge
Temne-Frau namens Fatima handelte mehrmals in der Woche mit mir, aber ich musste
sie jedes Mal erst auf einen annehmbaren Preis herunterbekommen. Für
fünfundzwanzig Orangen wollte sie zunächst drei Meter Stoff, gab sich am Ende
aber mit einem Meter zufrieden, wobei das Ganze nicht ohne eine weitverzweigte
Diskussion zu machen war, und je mehr Temne ich sprach, desto länger dauerten
die Umwege, bevor ich die Orangen und sie ihren Stoff bekam. Eines Tages,
nachdem Fatima mir wohl ein Dutzend Fragen über meinen Mann, meine Kinder und
darüber, wie ich sie alle hatte verlieren können, gestellt und ich alles
ehrlich beantwortet hatte, fragte ich sie die einzige Frage, die mich wirklich
interessierte.
»Du hast starke Beine,
nicht wahr?«
»Die habe ich, Gott sei
Dank.«
»Und du kannst weit
gehen, nicht wahr?«
»Das kann ich, Gott sei
Dank.«
»Dann sage mir, wie ich
meinen Weg ins Innere des Landes finde, zum Fluss Joliba.«
Fatima nahm ihre
Orangen und stapelte sie auf ihr Brett. »Das ist unser Geheimnis.«
»Warum?«, fragte ich.
Sie hob sich das Brett
auf den Kopf. »Wir dürfen dich nicht in unser Land lassen.«
»Mich?«
»Keinen der Toubabu von
den Schiffen.«
»Du nennst mich einen
Toubab? Hast du nicht gerade die Geschichte von meinem Mann und meinen Kindern
gehört? Ich bin in diesem Land geboren.«
»Das ist eine
Geschichte, eine sehr gute, und ich werde dir auch eine Geschichte erzählen,
wenn du willst. Aber du fragst mich nicht nach einer Geschichte, du fragst nach
meinem Land.«
»Ich frage dich nach meinem Land.
Dem Land, in dem ich geboren wurde.«
»Du hast das Gesicht
von jemandem aus diesem Land, aber du bist mit den Toubabu gekommen. Du bist
ein Toubab mit einem schwarzen Gesicht.«
»Ich bin im Dorf Bayo
geboren, als Tochter von Mamadu Diallo, dem Schmuckmacher, und Sira Kulibali,
der Hebamme, und ich wäre immer noch dort, hätten sie mich nicht verschleppt.«
Fatima wandte sich von
mir ab. »Einen Meter für die Orangen bitte. Die Zeit für Geschichten ist um.«
Noch Tage danach
empfand ich eine Einsamkeit, wie ich sie nur in den allerersten Tagen in den
Kolonien empfunden hatte. Ich befand mich auf dem Kontinent meiner Geburt und
war genauso verloren wie auf der anderen Seite des Ozeans. Am Ende beschloss
ich, dass Fatimas Zurückweisung nichts bedeutete. Ich wusste, wer ich war und
woher ich kam. Der Umstand, dass die Temne-Frau meine Geschichte nicht glaubte,
änderte nichts an meinem Leben. Er besagte nur, dass ich anderswo nach
Informationen suchen musste. Wieder dachte ich an die Zeilen von Jonathan
Swift:
So geographers, in Afric-maps,
With savage-pictures fill their gaps;
And o’er unhabitable downs
Place elephants for want of towns.
So füllen Geografen, auf den Afrika-Karten,
Ihre Lücken mit Bildern von wilden Arten,
Und auf unbewohnbare Hügelwellen
Setzen sie Elefanten, wo Städte fehlen .
Es stimmte,
dass die Kartenzeichner Elefanten gezeichnet hatten, weil sie von den Städten
und Dörfern nichts wussten, aber ich begriff auch langsam, wie schwer es für
sie gewesen sein musste, ins Innere Afrikas vorzudringen.
Wenn es in
Freetown regnete, goss es in Strömen. Wie aus Kübeln schleuderte der Himmel das
Wasser auf uns hernieder, und so bauten wir unsere Häuser auf Pfähle, um den
Schlammbächen zu entgehen. Wir lernten, wertvolle trockene Güter unter die
Decken zu hängen, und das Dach war eines der wichtigsten Bestandteile unserer
Häuser. Wir sahen uns Flechttechniken von den Temne ab und bauten, als es der
Nachschub zuließ, hölzerne Dächer, die wir mit Teer bestrichen. Das Kochen
erledigten wir vor unseren bescheidenen Behausungen und lernten es, uns
zusammenzutun und abzuwechseln, kleine Schutzdächer über den Kochstellen zu
errichten und Temne-Köche zu beschäftigen. Die erste Regenzeit begann im Mai
und endete im September, und wenn deine Bohnen oder dein Maniok während der
Zeit keine starken Wurzeln hatten, bestand keine Hoffnung, dass sie Wind und
Wasser widerstanden. Als die erste Regenzeit endete und die Sonne wieder
hervorkam, steuerten mehr Sklavenschiffe in den Sierra Leone River und auf
Bance Island beschleunigten sich die Geschäfte.
Eines Tages im Oktober,
als Debra und ich gerade ein Pfefferhuhn-Gumbo kochten, hörte ich Schritte,
Grunzen, ein leises Stöhnen und keuchendes Atmen. Es klang, als wäre ein ganzes
Dorf in Bewegung, und trug mich unversehens zurück zum letzten Tag meiner
Kindheit in Bayo.
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