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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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Ich drehte mich um und sah etwa dreißig Leute mit Jochstangen
an den Hälsen und fast völlig nackt, die in einer langen Reihe Richtung Fluss
gingen. Sie wurden von großen, dunklen Männern in wallenden Gewändern, mit
engen Mützen auf den Köpfen und Stöcken und Peitschen in den Händen
vorangetrieben. Die Frauen der Gruppe trugen große Stücke Salz und schwere
Ledertaschen auf den Köpfen, wahrscheinlich voll mit Reis oder Hirse. Die
Männer schleppten Bündel, einer mit leeren Augen und einem offen stehenden Mund
hielt wohl ein Dutzend Speere in den Armen. Wäre sein Hals frei gewesen, hätte
er die Waffen vielleicht benutzen können. Aber ich wusste, dass er sein Joch
sicher schon seit Wochen trug und sein Hals wund und voller Blasen war.
    Ich ließ meinen
Kochlöffel in den Topf fallen, rannte vor zur King Street, bevor der Zug dort
ankam, und sah sie kommen, Gefangene jeden Alters und jeder Größe. Ich
überlegte, wie ich sie befreien könnte. Ein Mädchen sah mich flehend an. Sie
war noch keine Frau, stand aber kurz davor, eine zu werden. Als sie näher kam,
sah ich die Spuren blauer Farbe in zwei senkrechten Strichen hoch oben in ihren
Wangen. Sie sah mir direkt in die Augen und rief ein paar Worte. Sie hatte die
tiefe, heisere Stimme einer alten Frau. Ich sah ihre Zähne aufblitzen, und wenn
ich sie auch nicht verstand, so wusste ich doch, was sie wollte: Wasser, Essen,
und vor allem wollte sie zurück zu ihrer Familie. Um den Hals trug sie einen
engen hölzernen Ring, der durch Ketten mit den Jochstangen der Männer vor und
hinter ihr verbunden war. Sie schien niemandem außer ihren Fängern zu gehören.
Ich nahm ihre Hand, als sie die Straße überquerte. Ihre Haut war trocken und
rissig. Ich wollte ihr Wasser geben, so unbedingt, hatte aber nichts dabei, bis
auf meine Kleider. Was sie sagte, klang wie ein Gebet. Vielleicht lauteten die
Worte: Essen, Wasser, Hilfe . Vielleicht sagte sie: Hilf mir bitte .
Ich zog an ihrem Ring, aber er saß fest um ihren Hals.
    »Gib nicht auf, Kind«,
sagte ich, so sanft ich konnte, um meiner Stimme einen mütterlichen Klang zu
geben, zog mir mit einer Bewegung das rote Tuch vom Kopf und band es ihr ums
Handgelenk. Mehr konnte ich nicht tun oder sagen, denn schon kam einer der
Antreiber von hinten und stieß mich zur Seite, als wäre ich nichts als eine im
Weg stehende Ziege. Der Mann blieb neben dem Mädchen, während es mit dem Zug
weiter vorwärtsstolperte, und von dem Punkt an rückten die Sklaventreiber näher
an ihre Gefangenen heran. Das Mädchen war bereits fünf, zehn, fünfzehn Schritte
voraus, und ich konnte nicht wieder zu ihm hin.
    Ich sah mich nach Hilfe
um und stellte fest, dass sich zahlreiche Neuschottländer am Hafen sammelten.
Einer zog Daddy Moses auf seinem Karren zur Spitze des Zuges, um die
Sklaventreiber zu stellen, aber die gingen einfach an ihm vorbei. Thomas Peters
kam von hinten gerannt, nahm meinen Arm und wir folgten dem Zug Richtung
Wasser.
    »Wo ist Clarkson, wenn
wir ihn brauchen?«, rief Peters.
    »Zu einer Besprechung
bei König Jimmy«, sagte ich.
    Debra brachte Clarksons
Stellvertreter zum Wasser, einen Company-Angestellten namens Neil Park. Dort
blieben alle stehen, die dreißig Gefangenen, ihre sechs Fänger, eine wachsende
Zahl Neuschottländer sowie mehrere bewaffnete Männer der Company. Zu unserem
Entsetzen sahen wir sechs große Temne-Kanus mit Männern am Anleger warten, die
bereit waren, die Gefangenen davonzurudern.
    Daddy Moses hatte
Schwierigkeiten, mit seinem Karren das Wasser zu erreichen, und schon
erschallte Peters’ wütende Stimme.
    »Geben Sie sofort diese
Menschen frei!«, rief er einem großen Afrikaner mit weitem Gewand zu, der vorne
am Zug stand.
    Der Sklaventreiber
beachtete ihn nicht und begann mit dem Bootsführer zu verhandeln. Voller Wut
über die Missachtung wollte Peters den Mann packen, aber da waren schon drei
andere zur Stelle, ergriffen ihn und hielten ihm ein Messer an die Kehle. Das
Mädchen mit den blauen Strichen auf den Wangen sah Peters an und dann zu mir
und den Dutzenden Neuschottländern hinter mir. Ich stellte mir vor, dass sie
dachte, wir könnten sie retten, wenn wir es wirklich wollten.
    Neil Park trat zwischen
die Linien, begleitet von seinem Temne-Dolmetscher. Die Sklaventreiber sprachen
auch kein Temne, hatten aber ebenfalls einen Dolmetscher.
    »Treten Sie zurück,
damit niemand verletzt wird«, sagte der Mann zu uns. Niemand bewegte sich.
    Park sei unser König,
sagte unser

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