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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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dem Anleger, um zu
sehen, wie das Schiff entladen wurde. Wir hofften auf Hämmer und Nägel, fanden
in den Kisten aber nur dreihundert tönerne Gießkannen.
    »Was ist denn das?«, fragte
Daddy Moses, als ich ihm eine in die Hand gab.
    »Eine Tonkanne«, sagte
ich.
    »Wie bitte?«
    »Ein Gießkanne aus Ton.
Dreihundert haben wir davon. Aber keine Hämmer und keine Nägel.«
    »Mädchen, du musst den
weißen Leuten einen Brief schreiben. Schreib ihnen, wir haben keine Gärten,
noch nicht, und dass wir bei all dem Regen hier ihre tönernen Gießkannen
sowieso nicht brauchen.«
    Ich habe der Company
diesen Brief nie geschrieben, aber Sam Fraunces und Theo McArdle habe ich
Briefe geschickt, nachdem Clarkson mir erklärt hatte, sie würden über England
nach Amerika gelangen. Ich mochte den Gedanken, dass meine Worte über das
Wasser reisten, und hoffte darauf, eines Tages eine Antwort zu bekommen.
    Die Company
stellte mich an, damit ich Kindern wie Erwachsenen Lesen und Schreiben
beibrachte, und Clarkson gab mir zusätzlich Arbeit: Er sagte, die Schreiberei
verursache ihm Kopfschmerzen, und so bereitete ich seine Berichte an die
Direktoren der Company in London vor. Als seine gelegentliche Sekretärin wurde
ich hin und wieder zu seinem Schiff hinausgerudert, um mit ihm in einer großen
Kabine zu arbeiten, die in ein Büro umgewandelt worden war.
    »Würden Sie nicht
lieber an Land wohnen?«, fragte ich ihn eines Tages.
    »Ich bin ein Mann der
Marine«, sagte er, »und finde es hier draußen auf dem Wasser friedvoller. Hier
habe ich Zeit zum Nachdenken, und die Leute können nicht einfach an meine Tür
klopfen und hereinplatzen, wenn ich mit etwas anderem beschäftigt bin.«
    »Die Company hat Ihnen
die Leitung der Kolonie übertragen, warum lassen Sie da die anderen fast alles
bestimmen?«
    »Ich überlasse es ihnen
gerne«, sagte Clarkson. »Es würde mein gutes Verhältnis zu den Neuschottländern
belasten, wenn ich all die Regeln der Company durchsetzen müsste.«
    »Sind es nicht die
Regeln, mit denen Sie gerechnet hatten?«
    Clarkson hob die Hände,
sagte aber nur: »Man kann nicht alles voraussehen.«
    Als meine Schreibarbeit
geleistet war, lud mich Clarkson noch zu einer Tasse Tee ein.
    »Es muss einsam für Sie
sein ohne Ihre Verlobte«, sagte ich.
    Er drückte eine Hand in
die andere, ließ die Fingerknöchel knacken und gab zu, dass es so war.
    Clarkson gab mir ein
paar seiner Londoner Zeitungen, und während ich sie studierte, las er ein Buch.
Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich so mit einem Menschen
verbunden fühlte, nur durch das gemeinsame Lesen in diesem Raum. Es war ein
schönes Gemeinschaftsgefühl, obwohl und auch weil wir nichts sagten, denn ich
wusste es zu schätzen, dass er mich nicht nach meiner seelischen Verfassung
befragte. Die Rückkehr nach Afrika konnte mir nicht die Menschen zurückbringen,
die ich verloren hatte, doch wenigstens zerriss mich hier in Sierra Leone die
Sehnsucht nach meiner Tochter nicht mehr so sehr, vielleicht weil ich aufgehört
hatte, sie in jedem Kind sehen zu wollen, das mir begegnete. Wo immer May sein
mochte, in Afrika war sie sicher nicht.
    Zunächst
konnten die Siedler nur überleben, indem sie für die Engländer arbeiteten und
dafür Geld und Essen erhielten. Obwohl uns die Company versprochen hatte, in
der ersten Zeit würde sie für die Versorgung aufkommen, wurden die Rationen
bereits nach einem Monat auf die Hälfte heruntergesetzt, und bald schon mussten
wir unsere Lebensmittel ganz im Laden der Company kaufen und mit unserer Arbeit
bezahlen, wobei es nicht jeden Tag für jeden in der Kolonie tatsächlich auch
Arbeit gab. Ein gelernter Arbeiter konnte zwei Schillinge pro Tag verdienen,
musste aber jede Woche vier für Verpflegung ausgeben. Mit ihren ungeheuerlichen
Preisen für gepökelten Fisch, für Rind und Geflügel machte die Company die
Neuschottländer wütend, nicht nur, indem sie ihnen verwässerten Alkohol
verkaufte. Dennoch schienen die Bewohner unserer Siedlung mit jeder Woche mehr
zu trinken und zu beten.
    Innerhalb von Monaten
nach unserer Ankunft hatten sechs verschiedene Religionen eigene
Versammlungsorte in der Stadt eingerichtet. Erst waren es Zelte, dann Hütten
und schließlich hölzerne Kapellen, aus denen die ganze Nacht hindurch Gesänge
und Gebete schallten. Die Bürger von Freetown kannten keinen Schlaf oder
lernten trotz des ständigen Lärms ihre Ruhe zu finden. Nacht um Nacht schallte
Trommeln aus König Jimmys

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